RV10: Welche Heterogenitätsdimensionen spielen im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht eine besondere Rolle?

Aufgabe 1: Im Rahmen eines Projekttages dürfen die Schüler*innen der 3b wählen, ob sie lieber Naturgegenstände sammeln und damit ein Wald-Mandala gestalten oder aber kaputte Nistkästen abhängen und reparieren möchten. Samira interessiert sich mehr für die Nistkästenaufgabe, wählt aber wie die meisten anderen Mädchen der Klasse das Mandala-Vorhaben. Finden Sie mögliche Erklärungen für diese Entscheidung vor dem Hintergrund der „grundlegenden psychologischen Bedürfnisse“ nach Deci und Ryan (1993).

Zunächst spiegelt Samiras Verhalten das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit wider. Sie möchte sich in die Gruppe integrieren und von ihren Mitschüler:innen akzeptiert werden. Kinder in der Grundschule erleben, dass ihr Verhalten von anderen bewertet wird, und sie suchen oft nach sozialer Anerkennung (vgl. ReBUZ, 2013). Samira könnte befürchten, dass sie negativ bewertet wird, wenn sie eine andere Wahl trifft als die Mehrheit der Mädchen. Diese soziale Dynamik kann ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz stärker beeinflussen als ihre persönlichen Interessen (vgl. rv10 Murmann, 2024; Folie 25). Das Bedürfnis nach Kompetenzerleben spielt ebenfalls eine Rolle. Samira traut sich zu, die Aufgabe der Nistkastenreparatur zu bewältigen, fühlt sich jedoch im Mandala-Projekt möglicherweise kompetenter. Dieses Gefühl der Handlungsfähigkeit und Sicherheit stärkt ihre intrinsische Motivation, indem es ihr erlaubt, Erfolgserlebnisse zu sammeln und ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Schließlich betrifft Samiras Entscheidung auch das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Autonomie. Obwohl sie die Freiheit hat, ihre Aufgabe selbst zu wählen, beeinflusst der Wunsch nach sozialer Eingebundenheit ihre Entscheidung. In diesem Fall setzt sie ihre Autonomie in einem sozialen Kontext ein, um eine Wahl zu treffen, die ihr erlaubt, mit ihren Freundinnen zusammenzuarbeiten und sich gleichzeitig akzeptiert zu fühlen.

Insgesamt lässt sich Samiras Wahl durch die Erfüllung ihrer grundlegenden psychologischen Bedürfnisse nach sozialer Eingebundenheit, Kompetenzerleben und Selbstbestimmung erklären. Diese Bedürfnisse sind laut der Selbstbestimmungstheorie zentrale Faktoren, die Verhalten und Motivation von Kindern beeinflussen (vgl. Deci & Ryan, 1993).

 

Aufgabe 2: Eine Kollegin berichtet im Lehrer*innenzimmer, dass sie Fachbegriffe im Sachunterricht vermeidet (statt „experimentieren“, sagt sie „ausprobieren“, statt “beobachten“ „genau hingucken“, statt „Sinnesorgane“ spricht sie ausschließlich von „Auge“, „Ohr“, „Haut“, „Zunge“ und „Nase“), um die Verständigung mit sprachlich schwachen Schüler*innen zu erleichtern. Eine andere Kollegin argumentiert, dass sie den Schüler*innen damit den Zugang zur Bildungssprache verwehre. Nehmen Sie Stellung.

Die Diskussion über den Einsatz von Fachbegriffen im Sachunterricht zeigt zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Vermittlung von Bildungssprache. Eine Lehrerin bevorzugt es, einfache Begriffe zu verwenden, um sprachlich schwächere Schüler:innen nicht zu überfordern. Diese Methode kann besonders für jüngere Schüler:innen oder solche mit sprachlichen Defiziten hilfreich sein, da sie die Verständlichkeit des Unterrichts erhöht und somit die Motivation und das Selbstvertrauen der Schüler:innen stärkt. Durch den Verzicht auf komplizierte Fachbegriffe wird sichergestellt, dass alle Kinder den Unterrichtsinhalten folgen können und sich aktiv beteiligen (vgl. Jahnke-Klein & Busse, 2019). Allerdings birgt dieser Ansatz auch Risiken. Bildungssprache ist ein essentieller Bestandteil des schulischen Lernens und dient der Vermittlung und Kommunikation von Wissen auf einem höheren Niveau (vgl. Siegmund, 2022). Wenn Fachbegriffe konsequent vermieden werden, könnte dies den Schüler:innen den späteren Erwerb dieser Sprache erschweren. Bildungssprache hat nicht nur eine wissensvermittelnde, sondern auch eine wichtige kommunikative Funktion, die durch die alleinige Verwendung von Alltagssprache nicht erfüllt werden kann. Ein früher Kontakt mit Bildungssprache kann den Kindern helfen, diese Sprache zu erlernen und zu nutzen, was langfristig ihre akademischen und beruflichen Chancen verbessern kann. Ein Mittelweg zwischen diesen beiden Ansätzen könnte darin bestehen, Fachbegriffe in den Unterricht einzuführen, aber gleichzeitig sicherzustellen, dass sie verständlich erklärt werden. Zum Beispiel könnte die Lehrerin den Begriff „experimentieren“ verwenden und sofort erklären, dass dies ein anderes Wort für „ausprobieren“ ist. Durch diese Methode lernen die Schüler:innen die Fachbegriffe kennen und verstehen gleichzeitig ihre Bedeutung. Dieser Ansatz fördert das Verständnis und den Gebrauch von Bildungssprache, ohne die Schüler:innen zu überfordern.

 

Aufgabe 3: Sie möchten eine Bachelorarbeit über Bildungsgerechtigkeit und die Nutzung außerschulischer Lernorte (insbesondere Museen und Naturräume) im Sachunterricht schreiben. Formulieren Sie erste Ideen (in ganzen Sätzen), worin mögliche Zusammenhänge bestehen könnten.

Für meine Bachelorarbeit plane ich, Bildungsgerechtigkeit und die Nutzung außerschulischer Lernorte wie Museen und Naturräume im Sachunterricht zu untersuchen. Ein möglicher Zusammenhang besteht darin, dass außerschulische Lernorte den Zugang zu Bildung für alle Schüler:innen unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund verbessern können. Museen bieten anschauliche und interaktive Lernmöglichkeiten, die besonders für Kinder aus bildungsfernen Familien von Vorteil sein könnten, da sie oft weniger Zugang zu kulturellen Ressourcen haben. Naturräume hingegen ermöglichen es den Schüler:innen, praxisnah und handlungsorientiert zu lernen, was besonders förderlich für die Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenzen ist. Außerschulische Lernorte könnten somit zur Chancengleichheit beitragen, indem sie vielfältige und inklusive Lernumgebungen schaffen.

 

Quellen: 

Deci, E. L.; Ryan, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik, S.223-238

Jahnke- Klein, S.; Busse, V. (2019): Sprachsensibel unterrichten in den Naturwissenschaften – Kontextorientierung als Lernhilfe oder zusätzliche Barriere?. In: Sprachsensibler Fachunterricht. Chancen und Herausforderungen aus interdisziplinärer Perspektive. Springer. Oldenburg. Seite 113- 140. (abgerufen am 20.06.24).

ReBUZ (2013): Handbuch Schulabsentismus Hintergründe und Handlungshilfen für den Schulalltag, Seite 7-9.

Siegmund, B. (2022): Sprachbildung im naturwissenschaftlichen Sachunterricht, S. 13. DOI: https://doi.org/10.46586/SLLD.253

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