(Welt-) Gesellschaftliche Veränderungen und die Reaktion von Schule – ein Blick auf Strukturen und Konzepte

1. Was ist gemeint mit einer ´nationalen Orientierung des Bildungssystems´? Woran kann das festgemacht werden im Hinblick auf seine Zielgruppen, Inhalte/Fächer, Strukturen? (denken Sie hier auch an ihre eigenen Erfahrungen aus der Schulzeit zurück)

Die „nationale Orientierung des Bildungssystems“ bezeichnet die Tatsache, dass im beispielsweise deutschen Schulunterricht das Land Deutschland im Mittelpunkt steht. So werdern bevorzugt deutsche Werte, Methoden und Formen der Kultur an die Schülerinnen und Schüler herangetragen.

Dieses Phänomen wird deutlich, wenn man sich Inhalte der Fächer genauer anschaut. So wird im Politikunterricht hauptsächlich das deutsche politische System thematisiert und freiheitlich demokratische Werte bewusst oder unbewusst vermittelt. Dies ist auch in Geographie und Geschichte der Fall, wo immer das Land Deutschland im Mittelpunkt steht und zu einem großen Teil lediglich die geographische Beschaffenheit und Geschichte Deutschlands thematisiert werden. Dies sorgt für einen großen gesamtheitlichen Fokus auf das Land Deutschland, wobei durch die Wahl der Themen im Unterricht zusätzlich zu den Informationen auch an deutsche Kultur, Werte und Methoden (bspw. Rechenwege in der Mathematik und Physik) gewöhnt wird. Außerdem spielt in diesem Kontext die Sprache eine wesentliche Rolle: Es ist unumstritten, dass Deutsch Hauptfach sein soll und nicht abgewählt oder gegen eine andere Sprache „getauscht“ werden kann. Auch auf diesem Weg, durch das Verbringen von viel Zeit mit deutscher Literatur wird deutsche Kultur und Lebensweise gelehrt. Denn meiner Meinung nach lernen die Schüler so die „deutsche Art zu denken und zu leben“.

Durch die Sprache wird auch deutlich, dass z.B. die Zielgruppe eines Gymnasiums gut Deutsch sprechen sollte und somit einen gewissen Hintergrund mitbringen muss. So lässt sich meiner Meinung nach die These aufstellen, dass durch das allgemein angestrebte Abitur die Schülerinnen und Schüler als erfolgreich und gebildet angesehen werden, die bis zu einem gewissen Grad die deutsche Kultur kennengelernt und Sprache und Denkweisen angenommen haben. Dies sollte nicht zu pauschalisierend gesehen werden und diese These müsste erst genauer untersucht werden, dass hier aber ein logischer Zusammenhang besteht lässt sich meiner Meinung nach nicht von der Hand weisen.

Auch die Strukturen neben der Aufteilung in Klassen oder auch der Schule, wie zum Beispiel die demokratische Wahl einer Klassensprecherin oder eines Klassensprechers oder der Fokus auf christliche Feiertage zeigen, dass durch die Entstehung und Formung der Schule in der deutschen Gesellschaft eine heterogene Schülerschaft ganz selbstverständlich an deutsche Strukturen und Werte gewöhnt wird.

Meine persönlichen Erfahrungen bestätigen dies, vor allem die Inhalte der Fächer waren sehr auf Deutschland als Zentrum ausgerichtet. Da außerdem meine Lehrerinnen und Lehrer zu einem großen Teil Deutsche ohne Migrationshintergrund waren und diese als Erwachsene Einflusspersonen für die Schülerinnen und Schüler darstellen und diese von ihnen auch fachferne Kompetenzen lernen, denke ich erlebt zu haben, dass auf diesem Wege auch unterbewusst deutsche Kultur, Werte und Denk- und Lebensweisen vermittelt wurden.

 

2. Was nehmen Sie aus dem öffentlichen Diskurs über ´Migration als Herausforderung für die Schule´ und über sog. ´Schüler mit Migrationshintergrund´ als Informationen wahr und inwiefern hat die Vorlesung für sie andere/neue Perspektiven dazu eröffnet?

Mir hat die Vorlesung über „Migration als Herausforderung“ und „Schüler mit Migrationshintergrund“ verschiedene Informationen und Denkanstöße verschafft. So denke ich, dass es einen größeren Diskurs darüber geben sollte wie nationalstaatlich der Unterricht an deutschen Schulen in Zukunft sein sollte. Denn auf der einen Seite ist es richtig, über deutsche Geschichte, deutsche Politik und deutsche Geographie zu lehren, andererseits ist es aber auf eine gewisse Art beschränkt, Methoden und Strukturen nur an deutscher Tradition auszurichten. So wäre es bspw. sehr informativ und lehrreich die Methodiken anderer Kulturen in Physik, Chemie, Biologie oder Mathematik kennenzulernen und zu reflektieren. Hier könnte meiner Meinung nach Veränderung entstehen, die den nationalstaatlichen Fokus um positive Aspekte ergänzen kann.

Zum Thema „Migration als Herausforderung für die Schule“ hat die Vorlesung meine Meinung bestätigt, dass Migration ein dauerhafter, verständlicher und definitiv zu akzeptierender Vorgang ist, welcher dafür sorgt, dass heterogene Klassen als Normalzustand gesehen werden sollten und demnach auch angepasst unterrichtet, gefördert und reagiert werden muss. So wurde meine Einstellung darin bestärkt, als dass Migration eine Herausforderung darstellt, diese aber keineswegs als negativ anzusehen ist, da Kinder, welche vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder anderem mit ihren Familien zur Flucht und somit Aufgabe ihres bisherigen Lebens gezwungen wurden genau das selbe Recht auf gute Bildung haben, wie Kinder, die das Glück hatten in Deutschland geboren worden zu sein. Deshalb ist für mich persönlich klar, dass ich dieser Herausforderung positiv und engagiert gegenüber treten möchte und nicht als Opfer, welches sich durch diese Herausforderung zusätzlich belastet fühlt und somit in der Migration etwas schlechtes sieht.

Der Diskurs über „Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund“ hat mich daran erinnert, dass alle Menschen sehr verschieden voneinander sind. Obwohl ich selber keinen Migrationshintergrund habe, denke ich, dass ich selber auch möchte, das Dinge die ich anders gelernt habe oder anders sehe als andere nicht als etwas negatives oder als Unsinn wahrgenommen werden. So kann ich sagen, dass ich an mir selbst merke, dass ich möchte, dass mit Schülerinnen und Schülern verständnis- und respektvoll umgegangen wird und Unterschiede zur „deutschen Norm“ nicht negativ sind und behoben werden müssen, sondern dass jedes Individuum seine eigenen Erfahrungen, Talente, Interessen, Gewohnheiten und anderes mitbringt und dies etwas positives, etwas bereicherndes für unsere Gesellschaft darstellt. Ich wurde also durch die Vorlesung erinnert oder erneut darauf aufmerksam gemacht, dass ich später mein bestmögliches tun möchte um die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler werzuschätzen und aufrecht zu erhalten und diese dazu zu ermuntern selbstbewusst mit ihren Eigenschaften umzugehen. Da dies für mich aber für wirklich alle Schüler gilt, denke ich dass „Schüler/Schülerin mit Migrationshintergrund“ eine Beschreibung darstellt die zwar in einer Hinsicht informierend ist, auf der anderen Seite sehe ich es aber so, dass durch diese Wortwahl jene Schüler in eine Schublade gesteckt werden, was meiner Meinung nach nicht sein muss. Viel mehr ist mir klar geworden, dass ich egal bei welchem Schüler oder bei welcher Schülerin auf die jeweiligen Eigenschaften eingehen möchte. Da ist meiner Meinung nach die Einordnung in eine Gruppe von Schülern „mit Migrationshintergrund“ nicht notwendig und auch nicht zielführend. Heterogenität ist in diesem Zusammenhang für mich auf wirklich ausnahmslos die gesamte Klasse bezogen und anzuwenden, nicht auf einen gewissen Teil.

Ich würde sagen, dass der Diskurs für mich persönlich nicht wirklich neue Perspektiven eröffnet hat, da ich mich bereits ausgiebig mit diesem Thema auseinandergesetzt habe (u.a. Unterricht in einer Klasse mit Deutschförderbedarf) und vor allem viel über die bekannte Flüchtlingsthematik nachgedacht habe. So haben sich meine Vorstellungen und Ansichten bereits früher gebildet, wurden aber durch diese Vorlesung erneut bekräftigt. So kann man also nicht wirklich davon sprechen, dass sich mir andere oder neue Perspektiven eröffnet haben, was ich allerdings als Bestätigung meiner eigenen Ansichten und Werte sehe.

 

3. Inwiefern kann das Beispiel von Betül (Interviewausschnitt aus einer qualitativen Studie) als Ausdruck von ´DoingCulture´ durch Lehrer*innenhandeln im Unterricht herangezogen werden?

„Doing Culture“ beschreibt für mich nach Folie 15 der Vorlesung die Tatsache, dass Kultur immer kontruiert ist. So wird in dem Interviewausschnitt beispielsweise von der Deutschlehrerin davon ausgegangen, dass die Schülerin Birgül aufgrund ihres Aussehens/ihres Namens/ihrer Art/ihrer Eltern oder anderem mit der türkischen Kultur aufgewachsen ist und diese verinnerlicht hat. Dabei wird übersehen, dass es keine klaren Grenzen von Kultur gibt. So wachsen nicht alle in Deutschland Lebenden mit derselben Art von Kultur auf, nicht alle in der Türkei Lebenden haben genau das selbe Verständnis von türkischer Kultur und genau so gilt dies auch für alle anderen Länder. Dasselbe gilt für die Schülerin im Beispiel. Sie hat nicht aufgrund ihrer Abstammung nur die türkische Kultur oder aufgrund ihres Wohnorts nur die deutsche Kultur kennengelernt. Vielmehr erwächst das eigene Verständnis der jeweiligen Kultur aus allen Erfahrungen die man selbst macht, aus dem eigenen Umfeld, aus der eigenen Vergangenheit. So ist es meiner Meinung nach rassistisch zu erwarten, dass eine Schülerin/ein Schüler Teil einer auf eigenen Vorstellung beruhenden Kultur ist, nur weil Aussehen, Name oder ähnliches dies vermuten lässt. Genau so könnte die Schülerin in einer Pflegefamilie aufgewachsen sein und noch nie mit der türkischen Kultur persönlich konfrontiert worden sein. Also hat die Lehrerin in diesem Fall die Schülerin auf einige Eigenschaften reduziert und voreilige Schlüsse gezogen, ob gerechtfertigt oder nicht ist egal. So hat die Lehrerin im Beispiel also ihre eigene Vorstellung von Kultur konstruiert und diese pauschalisierend mit der Schülerin verbunden, was meiner Meinung nach schnell passiert, aber aufgrund des Vorverurteilens vermieden werden muss. Auch die Konstruktion von Kultur ist meiner Meinung nach problembehaftet, da auch hier die Gefahr des Pauschalisierens und der Einordnung in einer bestimmte konstruierte Kultur, obwohl die Kultur jedes Individuums individuell ist, besteht.

Published in: on 10. April 2019 at 12:40 Comments (0)
Schlagwörter:
Zur Werkzeugleiste springen