Die Debatte über die Weservertiefung

Das Politikum „der Weservertiefung“ ist einem Großteil der bremischen Bevölkerung oberflächlich bekannt. Recherchiert man zum Thema in der Parlamentsdatenbank der Bremischen Bürgerschaft jedoch genauer, so bemerkt der/die Leser*In schnell, dass eine allgemeine Debatte über „die Weservertiefung“ nicht existiert. Viel mehr wird über die Vertiefung unterschiedlicher geographischer Abschnitte der Weser im einzelnen diskutiert: Die Vertiefung der Außenweser, der Unterweser und der Mittelweser. Der folgende Blogbeitrag verfolgt somit das Ziel, das Politikum insofern aufzubereiten, als dass dem/r Leser*In im Anschluss klar ist, an welchen Stellen der Weser aus welchen Gründen und mit welchen Interessen über eine Vertiefung des Flussbettes diskutiert wird. Hierzu werde ich zunächst den Flussverlauf der Weser sowie die politischen Zuständigkeiten der Teilstücke schildern und anschließend die Debatte über die Vertiefung der Außen- und Unterweser in der Bremischen Bürgerschaft entlang des zeitlichen Verlaufs nachzeichnen.

Geographischer Verlauf der Weser und Zuständigkeit

Abbildung 1 zeigt den Flussverlauf der Weser mitsamt ihrer Unterteilung. Zu sehen ist, wie die Quellflüsse Werra und Fulda in Hannoversch Münden zur Weser zusammenfließen welche anschließend als „Oberweser“ nach Minden fließt, von dort als „Mittelweser“ in Bremen ankommt, weiter als „Unterweser“ nach Bremerhaven fließt und in der Nordsee als „Außenweser“ trichterförmig mündet. Auf ihren 452 Flusskilometern durchquert sie dabei die Bundesländer Niedersachsen und Bremen und wird dabei zum länderübergreifenden Politikum.

 

Abbildung 1: Verlauf der Weser.

Über die Vertiefung der Weser wird entlang der letzten drei Abschnitte Mittelweser, Unterweser und Außenweser diskutiert, wobei lediglich die Vertiefung der Außenweser eine alleinig bremische Angelegenheit darstellt. Dementsprechend behandelt der überwiegende Großteil der Protokolle der bremischen Parlamentsdatenbank die Vertiefung der Außenweser. Nachrangig diskutierte die Bremische Bürgerschaft in den vergangenen zwanzig Jahren auch die niedersächsischen Anträge zur Vertiefung der Unterweser zunächst bis Nordenham, später von dort bis Brake und letztlich in die Stadt Bremen (Bremische Bürgerschaft 2001: 3ff., 2011a, 2011b, 2011c, 2015a, 2016b, 2016c, 2019). Seit März 2011 ist auch die Vertiefung der Mittelweser ein bremisches Thema (Bremische Bürgerschaft 2011d, 2015b, 2016a, 2017).

Im Folgenden werde ich die Debatte über die Außen- und Unterweservertiefung anhand der Protokolle der Bremischen Bürgerschaft entsprechend der Flussabschnitte chronologisch zusammentragen. Dabei ist die Diskussion um die Außen- sowie Unterweser nur bedingt abzutrennen, da sie in den Anfragen und Anträgen der Fraktionen meist im selben Atemzug genannt werden. Eine Betrachtung der Debatte um die Mittelweservertiefung wird im vorliegenden Blogbeitrag angesichts des Umfangs nicht weiter verfolgt.

Die politische Debatte um die Außen- und Unterweservertiefung

Ab 1990 begann die Bestrebung der Außenweservertiefung mit dem Beginn des „Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der Bundeswasserstraße Weser (km 65 bis km 130) zur Herstellung einer Mindesttiefe von 14m unter SKN (Anm. d. Verf. „Seekartennull“)“ infolge eines Antrags des Landes Bremen auf die „Anpassung des Fahrwassers der Außenweser an künftige Anforderungen der internationalen Containerschifffahrt“ aus dem Jahr 1989 (Bremische Bürgerschaft 1995: 1, 1996: 1893). Grund für den Antrag sei die Tatsache gewesen, dass die Außenweser lediglich eine Wassertiefe von 12m unter SKN garantieren konnte, welche einen „tidenunabhängigen Zu- und Ablauf von vollbeladenen Containerschiffen ab der vierten Generation“ nicht erlaubte und somit „eine Gefährdung der Wettbewerbsposition der bremischen Häfen im Falle eines Nichtausbaus der Außenweser“ darstellte (Bremische Bürgerschaft 1996: 1893). In einer am 11. Dezember 1996 protokollierten Fragestunde der bremischen Bürgerschaft zwischen dem damaligen Staatsrat Gerd Markus (SPD) und dem CDU-Abgeordneten Bernd Ravens verdichtete sich schon früh das Spannungspotential der Weservertiefung. Zwar seien sie sich einig gewesen, dass ein möglichst früher Beginn der Ausbauarbeiten an der Außenweser anzustreben war, doch habe insbesondere Ravens befürchtet, dass das Planfeststellungsverfahren zu lange dauere und Hamburg mit dem Ausbau der Elbe weit früher fertig sei, während Gerd Markus auf die Abläufe des Planfeststellungsverfahrens verwies, welche unter anderem eine Stellungnahme des Senators für Umweltschutz und Stadtentwicklung sowie eine Umweltverträglichkeitsprüfung durch die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest beinhaltete (Bremische Bürgerschaft 1996: 1893; 1995: 2). Dass sich um die Weservertiefung ein ernsthaftes Spannungsfeld von Wettbewerb und Umweltverträglichkeit entwickelte, liest sich jedoch spätestens aus der kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 17. März 1995 heraus, in welcher u.a. Fragen bezüglich des Einbezugs ökologisch betroffener Landkreise und der Naturschutzbehörden, der Vereinbarkeit mit der Europäischen Vogelschutzrichtlinie sowie der konkreten Auswirkungen auf die Strömungsgeschwindigkeit, den Tidenhub, der Deichsicherheit, Sturmflutgefahren, das Wattenmeer oder die Flussfischerei gestellt wurden (Bremische Bürgerschaft 1995: 1f.).

Erst 1999 stellte die Fraktion der CDU und SPD den Antrag auf die Sicherstellung der Außenwesertiefe von 14m an die Bürgerschaft; 2001 ging ein entsprechender Antrag zur Unterweservertiefung bis Brake beim niedersächsischen Landtag ein (Bremische Bürgerschaft 1999, 2001: 3). Auf die kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 6. Juli 2001 nach einem konkreten Zeitplan sowie nach Zusagen seitens der Bundesregierung für die Vertiefungsmaßnahmen antwortete der Senat, dass zum einen mit dem Abschluss vorbereitender Untersuchungen für die Ausbauplanung Mitte 2002 gerechnet, zum anderen auf den Abschluss des Planfeststellungsverfahrens gewartet werde und es seitens der Bundesregierung noch keine Zusagen gebe (Bremische Bürgerschaft 1999, 2001: 3ff.). Ferner sei die Umweltverträglichkeitsprüfung zum Schluss gekommen, dass mit „der Vertiefung der Außenweser […] erhebliche Beeinträchtigungen als Folge des Ausbaus zu erwarten“ seien und die Untersuchung nach geeigneten Kompensationsmaßnahmen beauftragt wurde, welche jedoch noch liefen (Bremische Bürgerschaft 2001: 2).

Nachdem 2006 die konkrete Planung der Außen- und Weservertiefung begann und die CDU-Fraktion 2011 den Senat zur Sicherstellung des Beginns der Baumaßnahmen aufforderte, lud sich die politische Spannung durch die Klage des BUND vor Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erneut auf und resultierte im vorläufigen Baustopp (Bremische Bürgerschaft 2011 (a); BUND o.D.). Darin stellte der BUND die Notwendigkeit der Ausbaumaßnahmen in Frage: Einerseits diene die Vertiefung der Unterweser lediglich dem Zweck des Imports billiger Futtermittel nach Brake und andererseits werde das Bremerhavener Containerterminal zum damaligen Zeitpunkt bereits von den weltgrößten Containerschiffen über die Weser angelaufen (BUND o.D.). Dem ständen die ökologischen Folgen drastisch entgegen (ebd.). Im selben Zuge reichte die Fraktion DIE LINKE zunächst einen Antrag zum Abwarten des Urteils durch das Bundesverwaltungsgericht und kurz darauf eine große Anfrage zur Feststellung der Notwendigkeit der Weservertiefung beim Senat ein (Bremische Bürgerschaft 2011b, 2011c). In der letzteren fragte die Fraktion den Senat insbesondere danach, für wie viele Schiffe die Fahrrinnen der Weser seit dem Jahr 2000 ein Problem darstellten, mit welchen Kosten für den Baumaßnahmen und die Instandhaltung gerechnet werde, ob Entschädigungszahlungen für die von der Weservertiefung wirtschaftlich benachteiligten Unternehmen vorgesehen seien und ob all dies im Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen stünde (Bremische Bürgerschaft 2011c: 2). Zentral war darüber hinaus auch die Frage, mit welcher Begründung es für welche Schiffe nicht zumutbar sei, den JadeWeser Port in Wilhelmshaven anzulaufen (ebd.).

2013 „rief das Bundesverwaltungsgericht […] den Europäischen Gerichtshof zur Klärung grundsätzlicher Fragen des europäischen Gewässerschutzes an“, welcher 2015 „in seinem Grundsatzurteil dem Verschlechterungsverbot und der Verbesserungspflicht des ökologischen Zustands der europäischen Oberflächengewässer großes Gewicht“ verlieh und 2016 dazu führte, dass das Bundesverwaltungsgericht der Klage des BUND gegen die Weservertiefung stattgab und den „Planfeststellungsbeschluss […] wegen schwerer Mängel bezüglich europäischen und nationalen Naturschutzrechts für nichtvollziehbar“ erklärte (ebd.).

Seitdem ging eine Vielzahl von Anfragen und Anträge durch die CDU-Fraktion, die FDP-Fraktion, der SPD- sowie der Bündnis 90/Die Grünen- Fraktion an den Senat (Bremische Bürgerschaft 2015a, 2016a, 2016b, 2016c). Dabei bezogen sich die Anträge und Anfragen der CDU- und der FDP-Fraktionen hauptsächlich auf die Feststellung durch den Senat, dass „die Fahrrinnenanpassung der Außen- und Unterweser von überragender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der bremischen Wirtschaft und zehntausender Arbeitsplätze“ sei, es ein „überwiegendes öffentliches Interesse an der Ausbaumaßnahme“ gebe und sich die aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des EuGH-Urteils „abzuleitenden Vorgaben in einem ergänzenden Verfahren heilen“ ließen, ohne ein neues Planfeststellungsverfahren aufzurollen (Bremische Bürgerschaft 2015a, 2016a, 2016b). Der Antrag der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen schlägt einen anderen Weg ein. Darin wird zunächst betont, dass die „Unter- und Außenweservertiefung […] unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten getrennt zu bewerten“ seien und stellt somit die Anträge auf Beschluss, dass der Senat sich dafür einsetzt, dass der Ausbau der Außenweser analog zum bisherigen Planfeststellungsbeschluss realisiert werden kann, jedoch der weitere Umgang mit der Vertiefung der Unterweser federführend durch die niedersächsische Landesregierung festzulegen sei (Bremische Bürgerschaft 2016c). Diesbezüglich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die „jetzige Bremer Regierung aus SPD, Grünen und Linken […] die Weservertiefung als Ziel in den Koalitionsvertrag aufgenommen“ habe (Hellmers 2020).

Was lernen wir daraus?

So wie es scheint, zeichnet die Debatte um die Vertiefung der Weserabschnitte ein echtes Dilemma nach, in der das Verhältnis von Umweltverträglichkeit und Wettbewerb kaum zu entspannen ist und in deren ursprünglicher Diskussion sich die klassischen Pole der deutschen Parteienwelt dahingehend widerspiegelte, als dass Die Grünen, Die Linke (sowie der BUND) im Kontrast zur SPD, der CDU und der FDP entlang der geschilderten Trennlinie standen. So zeigte die Umweltverträglichkeitsprüfung schon früh, dass ökologische Schäden keineswegs ausblieben. Auch der EuGH teilte mit seinem Urteil diese Ansicht und stoppte die Baumaßnahmen. Zugleich prognostizierte der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss jedoch positive Effekte auf den Arbeitsmarkt sowie die bremische Wirtschaft in einem Ausmaß, welches die ökologischen Folgen überwiege. Der vorgeschlagene Weg der Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die Vertiefung der einzelnen Teilabschnitte im Detail zu prüfen, scheint zuletzt ein verfolgbarer Kompromiss zu sein, sich aus dem Dilemma zu lösen.

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

2 Gedanken zu „Die Debatte über die Weservertiefung

  1. Hier sieht man ganz schön, wie hilfreich Parlamentsprotokolle für die Rekonstruktion von politischen Debatten sein können! Wie hoch ist bei diesem Thema denn die parteipolitische Polarisierung? Gibt es irgendwelche aktuellen Entwicklungen? Ist die Außenweservertiefung aus der Perspektive des Wettbewerbs unter den Nordrange-Häfen wichtig?

    • Mir scheint es so, als sei die parteipolitische Polarisierung rückläufig. Es gibt zwar noch immer die Hardliner-Anträge der FDP und CDU, vom Planfeststellungsbeschluss von 2011 trotz der EuGH-Entscheidung nicht abzuweichen, aber die Rot-Rot-Grüne Koalition hat die Grünen und die Linke näher zum Kurs der SPD gebracht, v.a. die Außenweservertiefung gesondert zu betrachten und dort zügig voranzuschreiten. Aktuell wurde anfang des Jahres die Außenweser- und Unterweservertiefung bis Brake vom Bundestag beschlossen. Das wird wahrscheinlich eine Folge des Wettbewerbsdrucks gegenüber Rotterdam und Antwerben sein.

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