Grüner & sozialer – Hafenpolitische Positionen Bremer Koalitionen

“Party politics do make a difference”, stellte auch Manfred G. Schmidt schon 1978 fest (Schmidt 1978: 196). Welchen Unterschied Parteien genau in verschiedenen Bereichen politischer Entscheidung machen, ist seitdem vielfältig untersucht worden. Davon ausgenommen sind bisher Häfen, die stattdessen meist als Teile übergeordneter Politikfelder betrachtet werden. In diesem Beitrag präsentiere ich einige Befunde eines Vergleichs der Koalitionsvereinbarungen der fünf Bremer Regierungen von 2003 bis 2019.

Um herauszufinden, welche Unterschiede es bei der Gestaltung von Hafenpolitik – oder zumindest den Absichten diesbezüglich – unter Beteiligung verschiedener Parteien geben kann, habe ich die Koalitionsverträge der letzten fünf Legislaturperioden miteinander verglichen. Dieser Zeitraum bietet sich nicht nur durch seinen Aktualitätsbezug an, sondern vor allem durch die parteiliche Vielfalt: Zuerst war die CDU Koalitionspartner der SPD, die dann drei Zeiträume mit den Grünen regierte, bevor sich 2019 die Linke dem Bündnis anschloss. Insbesondere die Vereinbarungen der jeweils ersten und letzten Legislatur eines Bündnisses bieten sich dabei als vielversprechende Kontrastpunkte an, da Veränderungen dort besonders markant sein sollten. Den Vergleich habe ich auf Kapitel und Absätze zum Hafen und hafenbezogenen Themen in Bremen bzw. Bremerhaven beschränkt, aber darüber hinaus auch versucht, einen Gesamteindruck der Verträge zu bekommen.

Gemeinsamkeiten

Bevor ich die einzelnen Vereinbarungen gesondert darlege, um Unterschiede hervorzuheben, möchte ich zunächst ihre Gemeinsamkeiten ansprechen. In allen Fällen wird den Häfen ein besonders hoher Stellenwert in ihrer Bedeutung für das Land Bremen zugesprochen. Abgesehen von der aktuellen Regierung sind sie dementsprechend auch im gleichen Ressort wie der Bereich Wirtschaft zu finden. Aber selbst in der derzeitigen „Ausnahmesituation“ sind die beiden Bereiche inhaltlich genau so eng miteinander verknüpft, und die Bedeutung der Häfen wird möglicherweise auch dadurch erkennbar, dass die SPD nach Abtritt des Wirtschaftsbereichs an die Linke die Häfen weiterhin in einem ihrer Ressorts verbuchen kann. Auch über die Bedeutung von Ausbau und Instandhaltung der Infrastruktur zur Erhöhung der Umschlagzahlen innerhalb der verschiedenen Hafenareale herrscht weitgehende Einigkeit. Dabei werden immer sowohl die Gebiete in Bremerhaven als auch im Stadt-Bremischen Bereich berücksichtigt. Ein weiterer Aspekt, der fast wortgleich in allen Dokumenten auftaucht, ist die überregionale und nationale Bedeutung der Bremischen Häfen und damit verbundene Forderungen an den Bund, sich vermehrt an den anfallenden Kosten (den sog. Hafenlasten) zu beteiligen. Ebenso wird von allen Koalitionen Wert auf Kooperation mit den anderen norddeutschen Bundesländern gelegt, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und gemeinsame Standards zu etablieren. Selbst die Weservertiefung wird in weiten Teilen auch unter Grüner und Linker Beteiligung zwar nicht gutgeheißen aber als Notwendigkeit angesehen. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die vereinbarte Hafenpolitik über die Zeit eher weiterentwickelt hat und jeweils andere Akzente beinhaltet, anstatt markante Kurswechsel aufzuweisen. Nichtsdestotrotz sind durchaus die Handschriften der einzelnen Parteien zu erkennen.

SPD/CDU 2003-2007

2003 brach die bis heute letzte Legislaturperiode mit Beteiligung der CDU an. Bis 2005 war dabei noch Henning Scherf amtierender Bürgermeister, bevor er von Jens Böhrnsen abgelöst wurde. Der Bereich Häfen fiel in das Ressort Wirtschaft und Häfen, das in der Hand der CDU lag. Im Koalitionsvertrag trägt ein Kapitel den Namen eben dieses Ressorts, und Häfen werden im Unterkapitel Hafeninfrastruktur behandelt (S.33-35)[1]. Das Kapitel macht insgesamt einen eher sachlichen Eindruck: Es werden oftmals passivische Konstruktionen gebraucht und ohne weitere Ausführungen werden Positionen und konkrete Maßnahmen geschildert. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die makroökonomisch orientierte Argumentationsweise zur Bedeutung der Häfen.

Als parteispezifische Besonderheit des Vertrags lässt sich außerdem das Hervorheben der strategischen Ausrichtung von Unternehmen wie der BLG, bremenports, der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS) und der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft mbH (FBG) anmerken (S.34-35, 75). Dort werden Umstrukturierungsmaßnahmen – d.h. zunehmende Kommerzialisierung und Korporatisierung – unterstützt bzw. gefordert. Dies steht im Einklang mit wissenschaftlichen Befunden, die darauf hindeuten, dass Maßnahmen aus dem Spektrum der Privatisierung unter konservativen Regierungen ausgeprägter sind (z.B Zohlnhöfer et al. 2008). Ebenso in die Parteilinie passt der Vorschlag, ein bremisches Hafengesetz auf Grundlage des EU Port Package zu erarbeiten (S.35), gegen das zu der Zeit heftig von Arbeitnehmerseite protestiert wurde (zu den EU Port Packages: Krämer 2015: 40-44, Buss 2018: 116-117).

2007-2011 SPD/Grüne 1

Mit dem Regierungswechsel 2007 fiel das Ressort Wirtschaft und Häfen an die SPD. Im entsprechenden Kapitel des Koalitionsvertrages von SPD und Grünen habe ich mir die Unterkapitel Häfen und Logistik sowie Förderung der Seeschifffahrt und des Reedereistandortes Bremen angeschaut (S.17-19), ebenso wie die hafenbezogenen Unterkapitel im Kapitel zu Bremerhaven (S.20-21). Auffällig ist zuallererst ein deutlich größerer Enthusiasmus in den Äußerungen. So heißt es zum Beispiel im ersten Satz des Kapitels Wirtschaft und Häfen: „Das Land Bremen ist ein starker Standort. Mit guter Infrastruktur, einer starken Wirtschaft und einer hohen Lebensqualität“ (S.8). Generell wird weniger gefordert, sondern mehr festgestellt; meist was Qualitäten und Potentiale des Standorts angeht.

Der Einfluss der Grünen wird bereits deutlich, bevor es um die Häfen an sich geht. Denen ist nämlich zunächst ein Unterkapitel zum Weserausbau und eines möglichst ökologisch nachhaltigen Umgangs damit vorgelagert. Im Abschnitt Häfen und Logistik ist dann auch direkt in den einleitenden Worten die Rede von der „Notwendigkeit einer integrierten nachhaltigen Meerespolitik“ (S.17). Weiterhin wird die Wichtigkeit, sich für umweltfreundliche Schiffe einzusetzen, hervorgehoben (S.19).

2011-2015 SPD/Grüne 2

Während das Ressort Wirtschaft und Häfen auch 2011 bei der SPD bleibt, werden die Häfen jetzt inhaltlich gesondert im Kapitel Häfen, Logistik, Maritime Wirtschaft betrachtet (S.20-22). Der anfängliche Enthusiasmus der ersten Legislatur des Bündnisses ist insgesamt zunehmender Sachlichkeit gewichen. Dennoch wird in vielen Teilen eine deutlich positive Bilanz bisheriger Entwicklungen gezogen, gerade auch am Standort Bremerhaven.

Es kommen außerdem weitere umweltbezogene Aspekte hinzu:  Es wird eine vollständige MSC-Zertifizierung für Fischprodukte aus Bremerhaven angestrebt und das Greenports-Konzept wird zum ersten Mal als solches besprochen (S.22). Zu diesem soll auch eine Hafengebühr, die auf einem Environmental Ship Index (ESI) beruht, gehören.

2015-2019 SPD/Grüne 3

2015 wurde das Ressort Wirtschaft und Häfen durch den Bereich Arbeit erweitert und weiterhin durch die SPD geleitet. Das alleinstehende Kapitel Häfen (das sich aber an Wirtschaft anschließt; S.28-31) ist diesmal weniger strukturiert und trägt Zwischenüberschriften, die nicht mehr unbedingt auf den Inhalt verweisen („Offene Tore zur Welt“ und „Chancen der Offshore-Wirtschaft umfassend nutzen“). Im Grunde wird inhaltlich aber das gleiche angesprochen, wie in den zwei Legislaturen zuvor. Begonnene Vorhaben sollen weiter vorangetrieben werden und der grüne Einfluss ist weiterhin erkennbar: „Verantwortung für die bremischen Häfen heißt für uns auch, Verantwortung für die Menschen, die in den Häfen arbeiten, sowie für Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz zu übernehmen.“ (S.31). Diese Aussage ebenso wie die Behauptung sich dafür einsetzen zu wollen, „dass Bremer Reedereien wieder vermehrt unter deutscher Flagge fahren“ (S.31) zeigen weiterhin eine zunehmende Betonung des Sozialen.

2019-2023 SPD/Grüne/Linke

Mit Antritt der ersten Rot-Grün-Roten Regierung in einem westdeutschen Bundesland und den hohen Stimmenverlusten bei der SPD standen die Zeichen in Bremen auf Veränderung. Während der Bereich Wirtschaft an die Linke wanderte, konnte die SPD immerhin an den Häfen festhalten, die jetzt in einem Ressort mit der Wissenschaft liegen. Die Akzente der Linken sind dort dennoch klar erkennbar.

Das Kapitel Häfen (S.80-86) ist ebenso wie der Rest der Vereinbarungen deutlich umfangreicher als seine Vorgänger; teilweise dadurch, dass Bereiche die vormals in anderen Kapiteln wie Klimaschutz oder Bremerhaven zu finden waren, miteinbezogen wurden, aber auch durch die Hinzunahme neuer Inhalte. Vor allem der Ausrichtung der Linken zuzuordnen sind dabei folgende Forderungen:

  • Faire Logistik durch transparente Lieferketten
  • Umschlag von Waffen- und Munition in Krisengebiete verhindern
  • Barrierefreie Zugänge unter anderem zum Container-Aussichtsturm an der Nordschleuse
  • Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung für mehr Seeleute aus EU-Mitgliedsstaaten auf den Schiffen der Bremer Reedereien
  • Kein Laschen von Fracht durch Seeleute anstatt Hafenarbeiter
  • Öffentliche Unternehmen sollen sich in sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen mit Veränderungen durch Digitalisierung/Automatisierung auseinandersetzen
  • Hafengrundstücke sollen öffentliches Eigentum bleiben

Ebenso wird in dem Vertrag erstmals gendergerechte Sprache verwendet. Erstmalig wird sich außerdem explizit gegen die Vertiefung der Unterweser zwischen Brake und Bremen ausgesprochen (S.81).

Fazit

Auch wenn die oben angesprochenen Gemeinsamkeiten die bremische Hafenpolitik meines Eindrucks nach überwiegen, sind in jedem Fall die Einflüsse der jeweiligen SPD-Koalitionspartner zu erkennen. Im Fall der Grünen weisen ländervergleichende Befunde zum Einfluss grüner Parteien auf Umweltpolicies darauf hin, dass selbst ähnliche Niveaus von Problemdruck, wirtschaftlicher Entwicklung und internationaler Integration immer noch Spielraum für die Gestaltung durch Parteien lassen (Knill et al. 2010).

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[1] Alle nicht weiter referenzierten Seitenzahlen beziehen sich im Folgenden auf den Koalitionsvertrag der jeweils behandelten Legislaturperiode. Verweise dazu im Literaturverzeichnis.

Literatur

  • Buss, Klaus-Peter (2018): Branchenanalyse Hafenwirtschaft: Entwicklungslinien des Hafenwettbewerbs und Herausforderungen der öffentlichen Akteure. Study Nr. 402 der Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.
  • Knill, Christoph/Debus, Marc/Heichel, Stephan (2010): Do Parties Matter in Internationalised Policy Areas? The Impact of Political Parties on Environmental Policy Outputs in 18 OECD Countries, 1970-2000. In: European Journal of Political Research, 49 (3), 301–336.
  • Krämer, Iven (2015): Die deutschen Seehäfen im Fokus überregionaler Entwicklungspolitik. Eine Folgenabschätzung zum Nationalen Hafenkonzept. Frankfurt: PL Academic Research.
  • Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 16. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2003 – 2007.
  • Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 17. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2007 – 2011.
  • Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 18. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2011 – 2015.
  • Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 19. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2015 – 2019.
  • Vereinbarung zur Zusammenarbeit in einer Regierungskoalition für die 20. Wahlperiode der Bremischen Bürgerschaft 2019 – 2023.
  • Schmidt, Manfred G. (1978): The Politics of Domestic Reform in the Federal Republic of Germany. In: Politics & Society, 8 (2), 165–200.
  • Zohlnhöfer, Reimut/Obinger, Herbert/Wolf, Frieder (2008): Partisan Politics, Globalization, and the Determinants of Privatization Proceeds in Advanced Democracies (1990–2000). In: Governance, 21 (1), 95–121.

 

Ein Gedanke zu „Grüner & sozialer – Hafenpolitische Positionen Bremer Koalitionen

  1. Sehr spannende Analyse, vielen Dank! In der Hafenpolitik gibt es im Detail also doch einige bemerkenswerte parteipolitische Kontroversen. Eine weitere Möglichkeit, diese empirisch zu untersuchen ist die Analyse von Protokollen zu hafenpolitischen Debatten in der Bürgerschaft.

    Weiß jemand, ob es große Konflikte über Hafenthemen in den Bremer Koalitionen gab (das kann man ja oft aus den Koalitionsvereinbarungen gar nicht ablesen)?

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