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SL Freier Text, Myra Reiche, Matrikelnummer: 6298663. 09-05-M1-T3 Tutorium 3 „Einführung in die Ethnologie“ (WiSe 23/24). Seminarleitung Sarina Poloczek.
Beobachtungsprotokoll von Myra Reiche am 16.12.2023
RB 41 Hamburg Hbf – Bremen Hbf, vorletztes Abteil im oberen Bereich, Uhrzeit: 18:35 – 19:25 Uhr.
Ich sitze in einem Viererabteil mit Tisch an meinem Laptop. Im Abteil befinden sich außer mir 16 Menschen. Es erfolgt eine Durchsage „Bitte bleiben sie von den Ausgängen zurück, damit der Zug abfahren kann“. Kurz darauf die nächste Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, bitte bleiben sie von den Türen zurück, die Türen schließen jetzt. Ich wiederhole: Die Türen schließen jetzt.“ Wenige Augenblicke später fährt der Zug an, gefolgt von der nächsten Durchsage, die auf die Zwischenhalte, den nächsten Halt Hamburg-Harburg und das geltende Alkoholverbot in der Regionalbahn verweist.
Mir ist sehr warm im Zug. Die Menschen, die ich von meinem Sitzplatz aus genauer beobachten kann, haben ihre Winterjacken alle ausgezogen. Zwei Gruppen von Menschen, die sich unterhalten sind zu erkennen. Vier Personen sitzen in einem anderen Vierer und unterhalten sich. Hinter mir sitzen zwei Personen mit grau-blonden Haaren und deutlich sichtbaren Falten im Gesicht, die sich miteinander unterhalten. Die eine Person hustet viel. Im Gespräch wird öfters gelacht. Es kommt eine Person mit blondem Kurzhaarschnitt, grauem Kapuzenpulli und einer gerade geschnittenen Jeans die Treppe hoch und blickt sich suchend um. Die Person trägt eine schwarze Winterjacke mit einem weißen Logo in der Hand. Die Person geht an mir vorbei und verschwindet wieder. Hinter mir vernehme ich noch mehr Gelächter, welches ich nicht zuordnen kann.
Vor mir steht eine Person auf, die ich bisher nicht wahrgenommen habe. Die Person hat lange blond-braune Haare und einen langen, metallisch glitzernden Wintermantel an. Die Person zieht zuerst diesen, und dann noch einen Pulli aus. Die Vier Personen, die sich unterhalten, lachen deutlich hörbar auf. Ich sehe in der Spiegelung der Fenster, wie eine Wasserflasche mit Papieren abgetrocknet wird und der Deckel von zwei Händen zugeschraubt wird.
Der Zug hält in dieser Zeit in Harburg. Vier Menschen steigen in unserem Abteil dazu. Unter anderem ein großer Mensch mit sehr kurzen Haaren, sowie eine Person mit dunkelbraunen Haaren. Die beiden Personen setzten sich nebeneinander auf zwei Sitze. Die große Person mit kurzen Haaren trägt ein längliches Päckchen in den Händen, welches in Hellgrünem Papier verpackt ist. Das Päckchen ist hinten schmal und vorne breiter und runder. Die Person legt es sanft auf deren Schoß ab.
Von hinter mir sind zwei Stimmen zu hören, die einen hellen, klaren Klang haben und sehr aufgeweckt klingen. Die Person mit der metallischen Winterjacke ist gerade wieder aufgestanden und zieht diese wieder an.
Danach setzt die Person sich wieder an den vorherigen Platz. Rechts von mir sitzt eine Person allein. Die Person hat braune Lederschuhe, eine dunkelblaue Jeans und einen burgunderroten Wollpullover. Die Person sitzt auf einer Jacke in der Farbe dunkelgrün und auf dem Platz neben der Person ist ein schwarzer Rucksack. Die Person trägt In-Ear-Kopfhörer und eine Brille und schaut durchgehend auf das Telefon in der Hand, welches sich in einer schwarzen Schutzhülle befindet.
Zwischendurch wird die Geräuschkulisse der Gespräche, dem Tippen auf meiner Tastatur und das Rauschen des Zuges durch eine Melodie und die Ansage einer Haltestelle unterbrochen oder durch das Geräusch der Türen, die sich an Haltestellen öffnen und schließen. Die Person rechts von mir zieht die dunkelgrüne Jacke an. Ich sehe, dass eine andere Person aufsteht und die Treppe hinabsteigt. Die Melodie und Haltestellenansage erfolgten. Die Person rechts von mir nimmt den Rucksack auf den Schoß und zieht einen Reißverschluss zu. Dann steht die Person auf und setzt die Kapuze der Jacke auf und geht bis zu der Treppe und bleibt dort oben stehen. Der Zug hält und die Person dreht sich um, wir haben kurz Blickkontakt. Dann geht die Person die Treppe runter.
Mir fällt auf, dass ich in diesem Abteil bisher keine Person mit größerem Gepäckstück als einen Rucksack gesehen habe. Wir befinden uns mittlerweile in Buchholz und stehen hier länger als an den anderen Haltestellen. Ich achte auf die Zeit: insgesamt 4 Minuten. Wir fahren wieder los und es erfolgt eine weitere Durchsage, die auf eine Verspätung von 5 min verweist aufgrund einer Zugüberholung.
Mein Blick wandert über die von hier aus sichtbaren leeren Sitzen. Es gibt Aufbewahrungsnetze, die jeweils an der Rückenlehne der Stühle davor befestigt sind. In einem Aufbewahrungsnetz ist eine zu einer Kugel zusammengedrückte Tüte, in dem Netz daneben befundet sich eine Bierdose mit der Beschriftung „Krombacher Pils“. Die Dose ist leicht eingedellt und der Verschluss ist geöffnet. Eine weitere grüne Dose klemmt in einem Netz in der Reihe davor, mit ebenfalls geöffnetem Verschluss. Auf einem anderen Sitz liegt eine weiße Plastiktüte, die oben zugeknotet ist. Die Tüte ist leicht durchsichtig und ich erkenne in ihr ein blau-weiß kariertes Papiertuch. Eine Person bleibt neben meinem Sitz stehen und geht einen Schritt zurück. Dann nimmt die Person die Tüte in die Hand und knotet diese auf, und schaut rein. Dann lässt die Person die Tüte liegen und setzt sich in die Reihe mit der Bierdose im Netz. Die Person setzt den Rucksack ab und holt eine andere weiße Plastiktüte heraus und tut die Dose darein. Die Person geht weiter, nimmt dabei auch die grüne Dose mit und schaut auf jeden Platz beim Weitergehen.
Interpretation:
Aufgrund der wiederholten Aufforderung per Durchsage, dass die Türen freigemacht werden sollen, schließe ich darauf, dass Menschen in Hamburg diese blockiert haben. Mögliche Gründe wären ein zu spätes Einsteigen, eine Verabschiedung an der Tür oder ein mutwilliges Stören der Türen.
Das Personen deren Jacken ausgezogen haben lässt mich darauf schließen, dass diesen Personen auch warm ist. Die Personen, die sich unterhalten, scheinen eine Art von Zugehörigkeit zu haben, bei der einen Vierergruppe tippe ich auf eine Freundinnengruppe, die Personen hinter mir wirkten wie ein Ehepaar, die Personen mit dem länglichen Paket wie ein Pärchen. Das Paket wirkte wie ein Blumenstrauß.
Die Person, die die Winterjacke aus- und dann wieder angezogen hat, hat mich verwirrt. Vielleicht hat die Person es doch ohne Jacke als zu kalt empfunden? Das Aufstehen und Hinsetzen wirkten umständlich.
Die Wasserflasche schien eine Sprudelflasche zu sein, die beim Öffnen gespritzt hat.
Die hellen, klaren Stimmen haben wahrscheinlich zu Kindern gehört.
Die Person, die rechts von mir saß, hat vielleicht mein Beobachten wahrgenommen und sich deswegen am Treppenabsatz noch einmal umgedreht, oder hatte vielleicht kurz das Gefühl etwas vergessen zu haben. Die Person stand wahrscheinlich am Treppenabsatz, weil die Treppe und der Vorraum der Türen von Menschen, die auch aussteigen wollen, gefüllt sind.
Die Gegenstände, die in den Netzen und auf den Sitzen lagen, schienen besitzlos zu sein und als Müll betrachtet zu werden. Wahrscheinlich wurden diese Dinge von anderen Personen zurückgelassen. Für die Person, die die Dosen eingepackt hat, schienen diese aber einen Wert zu haben. Die Person wirkte so, dass sie für die Tätigkeit des Suchens nach zurückgelassenen Dingen von Wert an diesem Ort ist.
Keine sichtbaren großen Gepäckstücke lassen mich darauf schließen, dass diese Strecke und diese Bahnlinie in erster Linie zum Pendeln und für Besuche oder Tagesausflüge genutzt wird.
Das in der Bahn viel Müll herumliegt, dabei auch Bierdosen trotz des Alkoholverbots und dass keine Tickets während der Fahrt kontrolliert werden, lässt mich darauf schließen, dass es sich bei dieser Linie um eine finanziell vernachlässigte Linie handelt, die bei Personalengpässen und im Zugverkehr (siehe Zugüberholung) hintenangestellt wird. Durch andere Fahrten mit dieser Linie wird diese Interpretation in meinen Augen noch verstärkt. Hier werden z.B. auch alte Züge eingesetzt, die keine Steckdosen haben.
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