1. Gessner et al. (2016) weisen auf die Gefahr hin, den Beutelsbacher Konsens
fälschlicherweise als ‚Neutralitätsgebot‘ zu verstehen (Stichwort „Neutralität und
politische Lethargie als Gefahr für politisches Leben“ auf Folie 13). Erläutern Sie,
weshalb es sich hierbei um eine Fehlinterpretation handelt.
Die Annahme, der Beutelsbacher Konsens sei fälschlicherweise als Neutralitätsgebot interpretiert worden, erweist sich als Fehlinterpretation. Der Beutelsbacher Konsens fordert, dass Schüler:innen durch den Schulunterricht ihre Mündigkeit entwickeln und dazu befähigt werden, politische Situationen eigenständig zu analysieren. Die Lehrkraft hat die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler von der Richtigkeit ihrer eigenen Vorstellungen zu überzeugen und sie in die Lage zu versetzen, politische Standpunkte zu erarbeiten. So werden sie in die Lage versetzt, sich ein differenziertes Bild zu machen. Das Demokratieverständnis der Lehrerperson bleibt in diesem Fall jedoch unangetastet und darf weiterhin zum Ausdruck kommen, solange andere Perspektiven nicht unterschlagen werden. Die vorliegende Untersuchung befasst sich nicht mit der Frage, ob Lehrkräfte eine gänzlich neutrale Position einnehmen sollten. Stattdessen wird der Fokus darauf gelegt, wie Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler dazu anleiten können, politische Standpunkte eigenständig abzuwägen. Dies erfolgt unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, ihre Urteile nicht aus Eigeninteresse, sondern auf Basis einer umfassenden Analyse und Erarbeitung der relevanten Informationen zu fällen. (vgl. Haker & Otterspeer 2021).
2. Arbeiten Sie die Bedeutung des Beutelsbacher Konsens für ein Thema heraus, das
in einem von Ihnen studierten Unterrichtsfach verortet ist. Was gibt es bei der
Durchführung einer Unterrichtseinheit zu diesem Thema unter Berücksichtigung
des Beutelsbacher Konsens zu beachten?
Angenommen, dass sich der Deutschunterricht mit dem Thema „Die Darstellung von Flucht und Migration in der deutschen Literatur“ befasst. Ich versuche eine herangehensweise zu schildern, wie eine Lehrkraft dieses Thema unter Beachtung der Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses behandeln könnte.
1. Überwältigungsverbot
Ein möglicher Ansatz besteht darin, dass die Lehrkraft verschiedene literarische Texte auswählt, die das Thema Flucht und Migration behandeln. Anstatt den Schülern ihre Interpretation aufzudrängen, werden von der Lehrkraft offene Fragen gestellt (bpb, 2011).
– Im Fokus der Untersuchung steht die Frage, welche Erfahrungen die Protagonisten in Bezug auf Flucht und Migration machen.
– Es gilt, die Emotionen und Herausforderungen zu identifizieren, die in dem Text beschrieben werden.
Die Schüler werden ermutigt, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu den Texten zu äußern, ohne dass die Lehrkraft ihre Sichtweise als „richtig“ darstellt. (vgl. Wehling 1977)
2. Kontroversitätsgebot
Im Rahmen der von der Lehrkraft organisierten Diskussion werden die unterschiedlichen Perspektiven auf Flucht und Migration in den für die Diskussion ausgewählten Texten erörtert. Sie gewährleistet die Präsentation unterschiedlicher Standpunkte:
– Es soll herausgearbeitet werden, inwiefern sich die Erfahrungen der Charaktere in den verschiedenen Texten voneinander unterscheiden.
– Es gilt, die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe zu erforschen, die die Geschichten beeinflussen.
Im Rahmen des Unterrichts sollen die Schüler sich mit aktuellen Debatten sowie unterschiedlichen politischen Ansichten zu den Themen Flucht und Migration auseinandersetzen. Die Lehrkraft nimmt eine moderierende Funktion ein, ohne eine bestimmte Meinung zu favorisieren.
3. Schülerorientierung
Ein Beispiel ist die Aufforderung an die Schüler, eigene kurze Essays oder Gedichte zum Thema Flucht und Migration zu verfassen. Im Rahmen dessen sollen sie ihre persönlichen Erfahrungen, Meinungen und Gefühle einbringen. Die Lehrkraft unterstützt die Lernenden dabei, ihre Gedanken zu strukturieren und auszudrücken.
– Es wird gefragt, wie die Situation der Protagonisten mit eigenen Worten beschrieben werden könne.
– Es stellt sich die Frage, welche Intention mit dem Text verfolgt wird und welche Botschaft damit vermittelt werden soll.
Durch diese Aufgabe lernen die Schüler, ihre eigenen Standpunkte zu formulieren und sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Thematik: Verschwörungstheorien
1. Wie kann man bei der Vielzahl von kruden Verschwörungstheorien auf dem Laufenden bleiben und Ansatzpunkte für Gegenargumente entwickeln?
Es ist nicht erforderlich, sich in jeder Thematik perfekt auszukennen. Nichtsdestotrotz ist es von Vorteil, wenn man in der Lage ist, die Muster von Verschwörungstheorien zu erkennen. Exemplarisch seien folgende genannt: Zu den identifizierten Problemen zählen Feindbilder, eine einseitige Selektion von Informationen sowie ein Misstrauen gegenüber vertrauten Institutionen. Schulungen in Medienkompetenz können Lehrkräfte dabei unterstützen, Verschwörungstheorien schneller zu erkennen sowie die Recherche bei vertrauten Quellen, welche Verschwörungstheorien thematisieren, zu verbessern. Die Thematisierung von Verschwörungstheorien im schulischen Kontext kann einen bedeutenden Beitrag zur Bildung von Schüler*innen leisten, indem sie diese dazu befähigt, derartigen Theorien mit Skepsis zu begegnen und ihnen nicht ohne kritische Überprüfung zu Glauben zu schenken.
2. Lassen sich Verschwörungstheorien durch sachliche Argumente infrage stellen?
Die vorliegende Problematik erweist sich als äußerst komplex, da sich Verschwörungstheoretiker gezielt gegen diese Form der Wissenschaft richten (vgl. Butter 2018). Sie behaupten, dass es diese Wissenschaft nicht gibt und alle Argumente falsch und fiktiv sind, um die Gesellschaft von vermeintlich „negativen“ Sachverhalten zu überzeugen .
3. Wie sieht ein angemessener Umgang mit Verschwörungstheorien aus?
Ruhig, respektvoll und klar in der Sache ist die richtige Haltung. Lehrkräfte sollten sich nicht auf Diskussionen einlassen, die die Grundwerte der Demokratie infrage stellen. Man sollte den demokratischen Bildungsauftrag nicht vergessen. Man könnte die Aussagen im Plenum besprechen, z. B. mit einer strukturierten Diskussion oder einer Quellenanalyse. Es ist wichtig, zwischen Meinung und Fakt zu unterscheiden. Und Schüler müssen verstehen, wie Desinformation funktioniert.
Wer im Klassenzimmer mit Verschwörungstheorien arbeitet, muss klare Regeln haben, sich gut vorbereiten und bereit sein, über Themen, die für viele Menschen wichtig sind, offen, aber mit Fakten zu sprechen. Schüler*innen sollten ihre Meinung frei äußern können und respektiert werden. Es ist wichtig, dass man sich austauscht und diskutiert.
Quellen:
Haker, C., & Otterspeer, L. (2021). Bedingte Autonomie, nicht Neutralität – „Neutrale Schulen Hamburg“ (AfD) und ihre Kritik. In J. Drerup et al. (Hrsg.), Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? S. 209–227.
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2011): Beutelsbacher Konsens. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens
Gessner, R., Hoffmann, K., Lotz, M., & Wohning, A. (2016). Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Bericht über eine Fachtagung. In B. Widmaier & P. Zorn (Hrsg.), Beutelsbacher Konsens. Orientierung für die politische Bildung
Wehling, H.-G. (1977). Konsens à la Beutelsbach? In S. Schiele & H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung (S. 173–184)
Butter, M. (2018). Nichts ist, wie es scheint: Über Verschwörungstheorien. Suhrkamp.