RV04 – Heterogenität im Schriftspracherwerb

In der „Memory mit Schrift“-Szene von Mia und Anastasia zeigen sich bereits einige Zugänge zur Schrift. Die Mädchen verstehen den symbolischen Charakter den die Schrift innehat. Zudem scheinen die Mädchen die Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln bereits weitgehend zu kennen, was es ihnen ermöglicht, die Begriffe buchstabenweise zu erlesen. Sie buchstabieren die Wörter nicht nur, sondern verstehen auch die Bedeutung der einzelnen Buchstaben im Wort. Dies zeigt, dass sie bereits buchstabenweise lesen, anstatt nur Buchstaben zu benennen. Zudem betonen sie die Laute Sch und Au bei Schmetterling und Auto bereits bei der ersten Aussprache, da sie womöglich als Anfangsbuchstaben des Wortes erkannt werden. 

Die „elementare Schriftkultur“ bezieht sich auf die grundlegenden Fähigkeiten im Umgang mit Schrift und Sprache, die notwendig sind, um Texte zu verstehen, zu interpretieren und selbst zu produzieren. Diese Fähigkeiten bilden die Basis für weiterführende Lernprozesse und sind entscheidend für die Teilnahme an der Gesellschaft. Die elementare Schriftkultur umfasst Fähigkeiten wie das Erkennen und Benennen von Buchstaben, das Verständnis von Wörtern und Sätzen, das Lesen von einfachen Texten und das Schreiben von Buchstaben und einfachen Wörtern. Im Gegensatz dazu bezeichnet „Kulturtechniken“ ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten, die für die Teilnahme an einer Kultur erforderlich sind. Dazu gehören neben der Schriftkultur auch Rechenfertigkeiten, grundlegende technische Kenntnisse, soziale Kompetenzen und vieles mehr. Die Wahrnehmung der Schriftkultur erfordert keine Fähigkeiten in Kulturtechniken. (Dehn, 2011, S. 132)

Beispiele für Zugänge zur elementaren Schriftkultur: 

  1. Das „Nachspuren“ von Buchstaben, mit verschiedenen Materialien (z.B. Holz, Pappe, Prickelnadeln) . So entwickeln sie ein Bewusstsein für Buchstaben und deren Formen.
  2. Durch Wortkarten mit Bildern können Kinder erste Wörter identifizieren nachsprechen/lesen. Wortspiele wie Reimwörter oder Silbenklatschen ermöglichen, den Klang von Wörtern zu erkennen und zu verstehen, wie sie sich zusammensetzen.
  3. Das Vorlesen von Geschichten in der Kita oder im Unterricht ist eine tolle Möglichkeit, das Lesen und eine Begeisterung dafür zu fördern. Das habe ich z.B. bei meinem letzten Praktikum in der Frühstückspause gemacht. 

Die Ergebnisse der IGLU Studie 2022 zeigen, dass sowohl vor als auch bei Schuleintritt verstärkt auf die Förderung von Erfahrungen mit elementarer Schriftkultur geachtet werden sollte. Wenn Kinder keine Erfahrungen mit elementarer Schriftkultur außerhalb der Schule machen, muss besonders in der Schule darauf geachtet werden, dass sie diese Erfahrungen erhalten. Nur so können Kulturtechniken nachhaltig gefestigt und die Teilhabe an der Schriftkultur sichergestellt werden. Fehlt dieser Zugang, wird es für die Kinder zunehmend schwierig, im Unterricht (nicht nur Deutsch) mitzuhalten.

Die Verschärfung der Leistungsheterogenität könnte verschiedene Ursachen haben. Zum einen spielen die individuellen Voraussetzungen der Kinder eine Rolle. Kinder, die bereits vor der Einschulung Erfahrungen mit elementarer Schriftkultur gemacht haben, starten oft mit einem Vorsprung. Familien, in denen viel vorgelesen wird oder in denen das Kind schon früh mit Buchstaben und Wörtern in Kontakt kommt, bieten eine gute Basis für den Schriftspracherwerb.

 

 

Literatur: 

Bär, Christina/Last, Sandra/Merklinger, Daniela (2022): Grundschule Deutsch Nr. 54 – Sprachförderung in der Klasse: Spiel mit Schrift und als Beobachtungsfeld. Hannover.

Dehn, Mechthild (2011): Elementare Schriftkultur und Bildungssprache. In: Fürstenau, Sara / Gomolla, Mechthild (Hrsg.): Migration und schulischer Wandel. Mehrsprachigkeit. Wiesbaden: VS Verlag.


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