Jahr / Land / Filmdauer: 2010 / Mexiko, Spanien, Frankreich / 104 Minuten
Regie: Icíar Bollaín
Autor: Shawn Korreck
Unterdrückung. Sinneswandel. Kapitalismuskritik. Wasserknappheit. Politik.
Das sind die zentralen Themen des Films „También la lluvia“, die sich in jeder Sequenz wiederfinden lassen.
Der Film, der 2010 den Eingang in die Lichtspielhäuser dieser Welt bekam, handelt von einem Filmprojekt des jungen Regisseurs Sebastián gespielt von Gael Garcia Bernal und seinem Filmproduzenten Costa gespielt von Luis Tosar. Dieser soll in Bolivien gedreht werden und von Christopher Kolumbus Taten handeln bezüglich dessen Goldgier und dem Umgang mit der indigenen Bevölkerung. Um Darsteller für die indigene Bevölkerung, speziell für die historische Persönlichkeit des Hatuey, einem Häuptling des Stammes der Taíno, der Widerstand gegen die Kolonialmacht erbrachte, zu finden, sucht das Team um Costa und Sebastián in der bolivianischen Stadt Cochabamba nach Statisten. Dort treffen sie auf eine riesige Schlange an Bewerbern, aus der besonders einer hervorsticht – Daniel, gespielt von Juan Carlos Aduviri – dieser beschwert sich, dass nur eine Handvoll Bewerber für die Statistenrollen interviewt werden, wobei in der Ausschreibung stand, das jeder eine Chance bekäme. Daraufhin bekommt dieser die Rolle des Hatuey, eine der Hauptrollen. Costa sieht in Daniel jedoch einen Unruhestifter und ein Problem, dass den Zeit- und Finanzplan des Films gefährden könnte. Mit zunehmender Zeit scheint Costa recht zu haben. In der Stadt Cochabamba kommt es zu einer Wasserknappheit. Dem Ortsteil in dem auch Daniel wohnt wird das Wasser abgedreht, da der Staat dieses privatisieren lassen und somit die Wasserpreise erheblich angehoben hat. Die Filmcrew findet sich inmitten von Protesten wieder, dessen Anführer Daniel selbst ist. Immer wieder gefährdet Daniel mit den Protesten die Dreharbeiten und sorgt für Drehausfälle. Auf Versuche Costas Daniel mit Geld von den Protesten fernzuhalten, reagiert Daniel nicht. Zwar nimmt er das von Costa gebotene Bestechungsgeld an, doch nutzt er dieses nur für seine Protestaktion. Als der Präsident Boliviens schließlich den Kriegszustand im Land ausruft nachdem die Proteste immer heftiger wurden und auch Daniel immer öfter eingespannt und sogar zeitweise in das Gefängnis befördert haben – der nur für den Drehzeitraum von Costa und Sebastián herausgeholt werden konnte – findet sich das Team in einer Ausnahmesituation. Sie entscheiden sich dazu, die Region zu verlassen. Bevor sie dies jedoch tun können, werden sie aufgehalten von Daniels Ehefrau, die Costa um Hilfe bittet. So sei ihre Tochter, die ebenfalls eine Rolle im Film hatte, alleine in die Stadt gegangen und durch die Proteste verletzt worden. Unerwartet entscheidet Costa sich dazu, mit ihr in die Stadt zu fahren um das Mädchen ausfindig zu machen. Während die anderen sich schon auf den Weg machen. Gemeinsam fahren sie in die von Protesten geplagte Innenstadt, in der Soldaten mit Gewehren auf Protester treffen. Trotz etwaiger Gefahren schaffen die beiden es, das Mädchen zu retten. Währenddessen sind die anderen bereits geflüchtet, bis auf Sebastián, der am Grenzpunkt mit Anton, dem Darsteller des Kolumbus, gespielt von Karra Elejalde, verbleibt. Costa wird somit unerwartet zum zweiten Helden des Geschichte, neben dem starken Kämpfer Daniel. Am Ende des Films umarmen sich die beiden Männer und Daniel schenkt Costa ein Fläschchen, gefüllt mit Wasser. Der Film wird niemals fertiggestellt.
También la lluvia glänzt vor allem durch seine Schauspieler. Besonders beeindruckend sind die Charakterentwicklungen und die realistische Darstellung dieser. Der Film scheut nicht vor der harten Realität, so gibt er nicht vor, „perfekte“ Charaktere zu besitzen, die ihrer Art immer gänzlich treu bleiben. Stattdessen hat jeder Charakter multiple Eigenschaften, die ihn vielfältig scheinen lassen. Der Regisseur Sebastián tritt zu Anfang des Films als gutherziger Mann auf, der von Costas Härte nicht viel hält. Im Laufe des Films dreht sich Sebastián jedoch. Es wird klar, dass ihm sein Film wichtiger ist als das Problem mit der Wasserversorgung und die an dem Film beteiligten bolivianischen Statisten. Er scheint geradezu ein weniger durchsetzungsstarker Costa zu sein. Am Ende sieht man, dass Sebastián mit Anton als einziger zurückbleibt. Dies gibt dem Zuschauer wiederum einen neuen Blick auf Sebastián, den man unterschiedlich deuten kann. Bereut er die Flucht, hängt er seinem Projekt hinterher, oder wartet er tatsächlich auf Costa. Sebastián scheint also ein ziemlich hin- und hergerissener Mensch zu sein, für den Costa fast schon eine Art Leitfigur ist. Sebastián versucht zwar das reingewachsene Bild von Kolumbus mit seinem Film zu ändern und dessen Fehlverhalten und Oberflächlichkeit zu visualisieren, doch gerät er in eine ähnliche Position, als er seinen Film über die Sicherheit und den Zustand der bolivianischen Bevölkerung stellt.
Costa hingegen tritt zu Anfang des Films als das komplette Gegenteil von Sebastián auf. Er ist der Produzent des Films. Gekoppelt an das Geld vertritt er die „typisch Geschäftsmann- Skruppelosigkeit“. Er wirkt oft kalt, unsympathisch und hält offensichtlich nicht viel von anderen Menschen. Respekt vor der indigenen Bevölkerung hat er genau so wenig, wie vor den bolivianischen Statisten, die diese darstellen sollen. Von Daniel und seinen Protestaktionen hält er nichts, denunziert er ihn noch während der anfänglichen Dreharbeiten, über das Handy bei seinen Geschäftspartnern. Alle seine Aktionen und Entscheidungen trifft Costa zugunsten des Geldes und entgegen der Moral und Menschlichkeit. Dies ändert sich mit dem Verschwinden von Daniels Tochter. Seine selbstlose Rettungsaktion lässt nicht einmal ahnen, das er zuvor ein so skrupelloser Geschäftsmann war. Auch kleine Einblicke in seine Hintergrundgeschichte mit Sebastián zeigen, das Costa trotz seiner Härte auch eine weiche Seite besitzt, die er nur selten zeigt. Die Schlussszene des Films, in der sich Daniel und Costa umarmen, ist für den Zuschauer besonders emotional. Hier wird Costa besonders weich dargestellt und der Zuschauer versteht, dass Costa sich absolut gewandelt hat.
Ein weiterer Lichtblick des Films ist Anton. Dieser soll den goldgierigen Christopher Kolumbus verkörpern. Anton ist ein Mann mittleren Alters, sieht von der Zeit mitgenommen aus und scheint ein starker Trinker und Raucher zu sein. Anton gehört zu den Nebenfiguren, die trotz ihrer geringer auffälligen Rolle, einen großen Einfluss auf den Zuschauer haben. Immer wieder kritisiert Anton Witze, die das Filmteam über die Leiden der indigenen Bevölkerung unter Kolumbus gemacht hat. Von Beginn an verhält sich Anton respektvoll gegenüber der bolivianischen Bevölkerung und auch am Ende bleibt er mit Sebastián an der Grenze, auf Costa wartend, zurück. Darüberhinaus scheint Anton Kinder zu haben, zu denen er kaum Kontakt aufgrund seines Jobs hat, was in einer sehr emotional aufgeladenen Sequenz erklärt wird.
Der zweite große Star des Films neben Costa ist aber mit Sicherheit der willensstarke Daniel. Dieser fällt immer wieder durch seine eben genannte Charakterstärke auf. Er kümmert sich relativ wenig um die Beschaffenheit des Films, sondern kämpft für Gerechtigkeit. Trotz seiner Ablehnung, die er Costa gegenüber hält und die auf Gegenseitigkeit basiert, scheint Daniel im Laufe des Films dennoch etwas Rücksicht auf seine Filmrolle zu nehmen und am Ende verzieht er Costas Aussagen und Verhalten ihm gegenüber. Auch hier ist die genannte emotional aufgeladene Szene, bei der sich beide Männer umarmen, ein wichtiger Prozess, wenn nicht sogar der wichtigste der Entwicklung beider Charaktere. Daniel weint aus Dankbarkeit gegenüber Costa und hofft auf eine Rückkehr von dessen.
Eine der herausragendsten Dinge des Films sind die Übergänge von der Binnenhandlung zur Rahmenhandlung. Dies wird strategisch gekonnt immer wieder eingesetzt. También la lluvia erzählt de facto drei Geschichten. Die erste, die Binnenhandlung, soll die Geschichte von Christopher Kolumbus Entdeckungsreisen neu erzählen und vor allem dessen Widrigkeiten aufzeigen. Die Rahmenhandlung des Films sind die Dreharbeiten an sich und deren Probleme. Dabei spielt natürlich auch der Kampf ums Wasser eine Rolle. All diese drei Handlungsstränge geschehen zwar auf der einen Seite immer unabhängig voneinander und doch bedingen sie sich gegenseitig. Dies wird vor allem in der Kameraarbeit und dem Tempo des Films deutlich. Soll die Stimmung des Films sentimentaler und einen gefühlvolleren Klang bekommen, handelt es sich meist um die reinen Dreharbeiten, Hintergrundgeschichten der Charakterbeziehungen oder Szenen, wo alle ausgelassen im Restaurant sitzen, essen und Witze machen. Mit nur einem Sprung wird diese Emotionalität aufgehoben und der Zuschauer wird plötzlich in eine Sequenz bestehend aus schnellen Bildern und actiongeladenen Szenen geworfen. Dies sind zu Beginn vor allem die Szenen aus dem eigentlich von Sebastián gedrehten Film. In diesen Momenten wird der Zuschauer aus seinem emotionalen Hoch oder Tief herausgeworfen, der Film nimmt an Fahrt auf und die oft bedrückenden Szenen aus dem Film über Kolumbus, wie z.B. die Verfolgungsjagd der Spanier mit den flüchtenden Indigenen führen zu einem plötzlichen Entsetzen des Zuschauers. Im fortlaufenden Film und der damit einhergehenden Zunahme des Proteste, sind es dann vor allem eben die Protestszenen, die dem Film Action und Tempo verleihen. Damit einhergehend wechselt die Kameraarbeit fast immer um hundertachtzig grad. Fällt die Kamera gerade in den vielen angesprochenen ruhigen Szenen durch stupide, einfache Kamerafahrten nicht auf, bestehen die Szenen der Proteste und Kolumbus-Szenen aus schnellen Fahrten, kreativeren Kameraeinstellungen und vor allem schnellen Schnitten. Dadurch, dass der Film erzählt wie ein Film geschaffen werden soll, wirken die meisten Bilder relativ natürlich und einfach, ohne Farbfilter oder ähnliches. Also besonders realistisch. Während die Szenen aus dem Kolumbus-Film hochpoliert, mit bläulichem Farbfilter und typischer „Hollywood-Blockbuster-Bearbeitung“ daherkommen.
Die Soundkulisse des Films ist ebenfalls an den Szenenwechsel angepasst. Grundsätzlich kommt extradiegetischer Musik kaum Bedeutung zu. Diese wird überwiegend nur in den bereits erwähntem Kolumbusfilm-Szenen verwendet. Außerhalb des von Sebastián realisierten Films ist jedoch immer wieder diegetischer Sound wahrzunehmen, durch Radio, Restaurantmusik oder ähnlichem. Auch dies ist zurückzuführen auf die möglichst realistische Darstellung. Zusätzlich ist jedoch zu erkennen, das gerade gewisse Sounds einen besonders starken Ausdruck verschaffen. So sind besonders Schüsse, zerspringende Scheiben, Hubschraubergeräusche oder das Marschieren der Polizisten und Soldaten deutlich akustisch hervorgehoben. Dies gibt dem Zuschauer nicht nur das Gefühl näher dran am Geschehen zu sein und somit auch selber nervös zu werden sondern strahlt grundsätzlich eine gewisse Gefahr aus.
También la lluvia erzählt nicht ohne Grund eine so spezielle Handlung. Tatsächlich siedelt sich der Film an die wahren Begebenheiten des Wasserkriegs im Jahr 2000 der Stadt Cochabamba an. Die im Film dargestellten Ereignisse sind fast gänzlich aus den tatsächlichen übernommen. So auch die zunehmenden Proteste, der Ausruf des Kriegszustands und am Ende das rückgängig Machen der Privatisierung des Wassers. Vermutlich ist das auch ein Grund für die realistische und bodenständige Darstellung des Films.
También la lluvia ist ein ausgezeichneter Film, der es schafft, drei Handlungsstränge in 104 Minuten unterzubringen, zu verbinden, sich gegenseitig zu ergänzen und trotz dessen mehrere Charaktere aufzuzeigen, die eine vollkommene Entwicklung durchmachen und nicht blass bleiben. Die Message des Films ist klar. Es geht vor allem um die Erfahrungen der indigenen Bevölkerung aber auch um moderne Formen der Unterdrückung und die Wahrnehmung bestimmter Bevölkerungsgruppen in der heutigen Zeit. Auch die Kapitalismuskritik ist nicht von der Hand zu weisen. Die Sprünge zwischen dem Film um Kolumbus und den Dreharbeiten zeigen vor allem eins auf: Die Zeit und die Form hat sich geändert aber Unterdrückung und Diffamierung gewisser Bevölkerungsgruppen ist nach wie vor vorhanden. Auch die unterschiedlichen Charaktere und ihre Entwicklungen zeigen dies auf. So ist Sebastián ein gutes Beispiel für einen Mann, der erst daherkommt als ein Samariter für die Bolivianer und dessen Interessen ernst nimmt, dem aber im Verlauf der Handlung sein eigener Wille den Film fertigzustellen, doch wichtiger ist. Costa hingegen spiegelt den klassischen Kapitalisten wieder, der für Geld über Moral und Leichen geht und vor nichts zurückschreckt. Es ist fast Ironie, dass gerade Costa am Ende des Films der wohlwollende Samariter für die Bolivianer ist und seine Interessen aber vor allem sein Leben hinten anstellt für die Sicherheit eines fremden Mädchens.
Damit bedient sich der Film also nicht den typischen Klischees, sondern greift diese auf und ändert diese völlig an. Das sorgt einmal dafür, dass der Film nicht vorhersehbar ist und zum anderen dafür, dass die Handlungen eine viel höhere Gewichtung haben. So ist es doch bedeutender, wenn der sonst so harte Costa plötzlich weich wird und das Geld hinten anstellt. Dies vertieft den Charakter und ist eine starke Aussage über den tatsächlichen Charakter. Wohingegen der scheinbare Samariter, sich am Ende als der tatsächlich egoistische herausstellt. También la lluvia spielt also mit Klischees.
Insgesamt ist También la lluvia meines Erachtens nach ein kleines Meisterwerk. Lediglich einzelne Längen können dem Film als Kritik angesetzt werden. Doch die Vernetzung von drei unterschiedlichen Handlungssträngen, vermischt mit deutlicher Gesellschaftskritik, tiefen Einblicken in die Charaktere die starke Entwicklungen durchmachen, geben dem Film eine emotionale Tiefe, die nur wenige Filme besitzen. Damit erreicht der Film auch etwas, das nur besonders gute Filme schaffen – er regt zum Nachdenken an.
Neueste Kommentare