Perro Bomba
2019, Chile, 80 Minuten
Regie: Juan Cáceres
Autor: Leo Heyer
In den letzten Jahren hat man immer wieder in den Medien von Rassismus gegenüber lateinamerikanischen Migranten in den USA gehört, nicht zuletzt durch die Präsidentschaft Donald Trumps und sein Vorhaben, eine Mauer zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko zu erbauen. Doch auch innerhalb Lateinamerikas erfahren Migranten aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft Rassismus. In 80 Minuten Laufzeit begleitet der Zuschauer den jungen haitianischen Migranten Steevens in Santiago, Chile, der versucht, mit Rassismus in seinem Alltag umzugehen und dabei in ein immer tiefer werdendes Loch von Verzweiflung und Hilflosigkeit fällt. Regisseur Juan Cáceres zeigt mit Perro Bomba, wie weitreichend die Folgen für Betroffene sein können, wenn sie von der Gesellschaft im Stich gelassen werden. Sollten Betroffene sich gegen offenen Rassismus wehren oder ihn einfach hinnehmen und diesem keine weitere Beachtung schenken, ganz nach dem Motto: Lass die Leute reden und hör einfach nicht zu? Dies sind Fragen, auf die der Film zwar aufmerksam macht, aber selbst nicht beantwortet.
Auf der Suche nach einem besseren Leben und mehr Wohlstand, sind Steevens und seine Familie von Haiti nach Chile ausgewandert. Steevens ist ein junger, auf dem Bau arbeitender Mann und wohnt zusammen mit seiner Familie in einem kleinen Haus in Santiago. Er lebt zunächst ein zwar simples, aber angenehmes Leben, bis ein Verwandter Junior ebenfalls aus Haiti zu der Familie Steevens’ nach Santiago zieht. Weil er noch kein Spanisch spricht und einen Job braucht, wird Steevens von seiner Familie darum gebeten, Junior einen Job bei ihm auf dem Bau zu beschaffen. Als Junior schließlich mit Steevens auf dem Bau arbeitet, fängt ihr Chef damit an, rassistische Bemerkungen gegenüber dem neuen Mitarbeiter zu machen. Eines Tages kommt es sogar dazu, dass der Chef handgreiflich wird und Steevens sich daraufhin wehrt, was letztendlich aber gravierende Folgen für ihn hat. Durch ein Missverständnis glaubt man nämlich, Steevens hätte seinen Chef grundlos angegriffen, woraufhin er von seiner Familie und Gemeinde verstoßen wird. Nun muss Steevens sich alleine auf der Straße durchschlagen, um nicht zu sagen: um sein Leben kämpfen.
Diese Erfahrungen zeichnen Steevens eindeutig und hinterlassen bei ihm sichtbar tiefen Schmerz. Gespielt von Steevens Benjamin, wird sein gleichnamiger Charakter von außen betrachtet zwar immer ruhiger, aber man merkt, wie seine innere Anspannung und Unruhe steigen. Seine innere Zerrissenheit wird sehr ästhetisch, im Kontrast durch einige ruhige, nachdenkliche Szenen spürbar. Dies wird besonders deutlich, nachdem er die Auseinandersetzung mit seinem Chef hat, in der er sich gegen ihn wehrt, dieser ihn über die Baustelle jagt und durch die er letzten Endes zu Unrecht von seiner Familie und Gemeinde verurteilt wird. Auf der Flucht vor seinem Chef, klettert Steevens auf einen Mast und schaut bedrückt in den Sonnenuntergang. Alles wird leise, die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen und auch wenn es ganz leise ist und eine Totale für eine ruhige Tiefe der Szene sorgt, ist die Spannung doch sehr groß. Generell ziehen sich Unruhe und Anspannung durch den gesamten Film, nicht zuletzt durch die audiovisuelle Gestaltung. In den meisten Szenen kann man immer noch alle Hintergrundgeräusche hören, egal ob Autos, die Menschen im nächsten Raum, oder die Musik auf den Straßen. Eine weitere Methode, mit der vermutlich Steevens’ Nachdenklichkeit, bzw. seine charakterliche Entwicklung unterstrichen wird und darüber hinaus den Film in verschiedene Sinnabschnitte einteilen soll, sind Szenen von Tanz- und Musikeinlagen von Fremden auf der Straße. Das Ganze bietet dem Zuschauer etwas Zeit, um das Geschehene zu verarbeiten und zu reflektieren, was nach dem ersten Mal zwar etwas schwierig fällt, da es etwas überraschend kommt, aber spätestens beim zweiten Mal ein gut eingesetztes filmisches Element ist. Diese Choreographien werden jedes Mal schon vor dem eigentlichen Schnitt angekündigt, da man die Musik davon schon vorher hören kann, was dem Ganzen einen angenehmen, laufenden Übergang gibt und dem Zuschauer dabei hilft, sich von unangenehmen Szenen schneller wieder zu beruhigen.
Doch wird die Spannung im Film nicht nur durch Filmtechnik und Schnitt erzeugt, sondern besonders auch durch überzeugendes Schauspiel der Darsteller. Diese bieten nämlich durch freies Spielen und improvisierte Dialoge realistische Situationen, die so auch in Wirklichkeit passieren könnten, nur mit der Ausnahme, dass manche Handlungselemente etwas schwierig nachzuvollziehen sind. So ist es beispielsweise nicht ganz verständlich, wieso Junior Steevens’ Familie nicht einfach sagt, dass er sich nur gegen seinen rassistischen Chef gewehrt hat, denn hätte er ihnen davon erzählt, wäre es vermutlich gar nicht erst dazu gekommen, dass Steevens Zuhause rausgeschmissen wird. Ein weiterer Aspekt, welchen man dem Film negativ ankreiden kann, ist, dass er sich trotz nur 80 Minuten Laufzeit deutlich länger anfühlt, als er eigentlich ist. Dies ist hauptsächlich seinen recht langen Einstellungen zu verschulden, die zwar einerseits schön anzusehen sind, da sie dem Film eine gewisse Glaubhaftigkeit und darüber hinaus etwas den Charakter eines Dokumentarfilms verleihen, aber die mit der Zeit auch etwas die Aufmerksamkeit des Zuschauers beanspruchen.
Die Hauptkritik des Films an der Gesellschaft ist natürlich der Rassismus. Was dem Thema aber noch eine weitere Tiefe gibt, ist, dass die Charaktere, die in dem Film besonders durch ihre rassistischen Äußerungen auffallen, auch die sind, von denen Betroffene im Alltag am meisten abhängig sind: Arbeitgeber und Beamte. Migranten sind diesen nämlich oft hilflos ausgesetzt, so auch im Beispiel Steevens’. Sein erster Arbeitgeber fällt dabei besonders auf, da Steevens’ erst durch ihn in seine scheinbar aussichtslose Lage geraten ist. Dieser behauptet allerlei rassistische Dinge wie, dass es früher keine Dunkelhäutigen in Chile gegeben hätte, was nicht der Wahrheit entspricht, oder dass Dunkelhäutige für sämtliche Probleme innerhalb der chilenischen Gesellschaft verantwortlich seien. Mit solchen Aussagen hält er sich auch auf keine Weise zurück und erzählt seinen, zum Großteil aus Migranten bestehenden Mitarbeitern, diese Dinge einfach bei der Mittagspause. Wie verblendet diese Aussagen sind, wird ebenfalls mit Schnitten auf anwesende Tiere im Raum subtil mitgeteilt, diese sind nämlich ein schwarz-weißer Hund und eine gleichfarbige Katze – ironisch. Vermutlich können diese Tiere auch eine Metapher für ein harmonisches, gleichberechtigtes Zusammenleben zwischen dunkel- und hellhäutigen Menschen sein.
Des Weiteren appelliert Perro Bomba an Zusammenhalt innerhalb der Familie und einer Gemeinschaft. Es wird die Wichtigkeit der Familie gezeigt, denn in schweren Zeiten, wie Steevens’ sie durchmacht, wird er am meisten von seiner Familie im Stich gelassen. Auch Institutionen, an die man eigentlich glaubt, sich immer wenden zu können, grenzen Steevens’ aus. So ist er bzw. seine Familie sehr religiös und als er einmal in die Kirche gehen möchte, wird ihm der Zutritt wegen seiner langen Haare verweigert. Das ist zwar nicht rassistisch, aber dennoch eine Art von Ausgrenzung wegen äußerlichen Eigenschaften, auf die der Film dabei aufmerksam machen möchte. Diese Art von Ausgrenzung steht auch deutlich im Kontrast zu etwas, was Steevens Junior bei seiner Ankunft in Santiago gesagt hat, und zwar, dass man sich in Chile so kleiden und stylen könnte, wie man will. Vielleicht soll das auch eine Anspielung auf einen Dialog sein, der im Opening des Films zu hören war und in dem es darum geht, dass man niemandem jemals wirklich vertrauen kann, aber das ist nur eine Vermutung. Was aber auch für diese Theorie spricht, ist, dass Steevens ebenso nicht seiner eigenen Familie trauen kann, da Junior nicht über die wahren Ereignisse zwischen Steevens und seinem Chef aufgeklärt hat. Auch in Hinsicht auf Steevens’ spätere Arbeitgeber, die ebenfalls seine Umstände ausnutzen, ist dieser Monolog sehr aussagekräftig. Ein Gegensatz zu dieser Aussage ist jedoch die wahrscheinlich einzige Person, die Steevens in seiner Situation unterstützt, und zwar eine Frau, die beim Arbeitsamt arbeitet. Sie versucht alles mögliche, um ihm zu helfen, doch kann auch sie ihm letztendlich nicht seinen Weg zeigen.
Perro Bomba zeigt mit einem überzeugendem, teilweise Dokumentarfilm-artigen Schauspiel das Schicksal eines von seiner Familie und Gesellschaft zurückgelassenen jungen Mannes. Dabei wird dem Zuschauer vor Augen geführt, welche Folgen Rassismus für Betroffene haben kann und das besonders, wenn er nicht vom Rest der Gesellschaft erkannt und verurteilt wird. Auch wenn der Film sich trotz seiner kurzen Laufzeit durch zwar schöne, eindrucksvolle, aber gleichzeitig auch lange Einstellungen etwas in die länge gezogen anfühlt und wenige Drehbuch-Entscheidungen nicht ganz nachvollziehbar sind, lohnt es sich dennoch den Film zu sehen, nicht zuletzt, da er auf ein Problem aufmerksam macht, welches zwar präsent in der Gesellschaft ist, aber über das die meisten wahrscheinlich noch nicht so weitsichtig gedacht haben, wie es der Film zeigt. Zusammengefasst ist Perro Bomba ein Film, der durch gelungene Filmtechnik zum Nachdenken anregt.
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