„También la Lluvia“

Jahr: 2010, Land: Mexiko, Spanien, Frankreich, Spieldauer: 104 Minuten.

Regie: Icíar Bollaín.

Autor: Daniel Prüß

Mit eindrucksvollen Bildern entführt uns dieser Film gleich zu Beginn nach Cochabamba, Bolivien ins Jahr 2000. Wir befinden uns auf einem großen, hektischen Markt in der lebendigen lateinamerikanischen Stadt. Umringt vom Treiben des Geschehens sehen wir eine Schlange von Menschen, welche scheinbar auf etwas warten. Schnell wird klar, dass wir Menschen sehen, welche für ein Filmcasting ausgewählt werden. Dabei wird uns schon direkt am Anfang ein Charakter vor die Nase gedrückt, welcher im Verlauf des Films immer und immer zentraler werden wird: Daniel und seine Tochter.

Beide werden aufgrund ihrer indigenen Abstammung im Film, welcher im uns hier präsentierten Setting gefilmt werden soll, eine Rolle spielen. In ebendiesem Film soll es um die Anlandung von Christopher Columbus auf dem amerikanischen Kontinent und die damit beginnende Unterdrückung der einheimischen, indigenen Bevölkerung gehen. Dazu wird in der Natur, nahe der Stadt ein Film-Set errichtet. Mit großem Aufwand soll im Zusammenspiel des uns vorgestellten Produzenten, sowie des Regisseurs dieses Filmes, ein Meisterwerk entstehen. Große Summen sind, so wird uns recht schnell bekanntgegeben, für diesen Film vorgesehen und ebenso groß sind die Erwartungen an das Endprodukt. Wir als Zuschauer werden dabei immer wieder hin und her geworfen. Szenen aus dem zu drehenden Film werden uns gezeigt, im nächsten Moment sehen wir „Behind the Scenes“-Szenen und sitzen als Zuschauer irgendwo im Gewusel des Filmsets. Im wiederrum nächsten Augenblick sitzen wir im Auto des Filmteams und lauschen einem Streit des Produzenten mit seinem, uns als Sebastian vorgestellten, Regisseur. Dieser Produzent, Costa ist sein Name, wird uns schon im ersten Drittel des Filmes als skrupelloser und monetär angetriebener Mensch vorgestellt, welcher mit seiner Entschlossenheit den Film fertigzustellen oftmals über moralische Grenzen hinausschießt.

Der Bruch des Projektes beginnt

Nachdem wir uns des Settings bewusst geworden sind in welchem wir uns hier wiederfinden, werden wir sogleich auch wieder aus diesem herausgerissen. Während der Dreharbeiten findet die Filmcrew heraus, dass es in der Stadt in welcher sie ihre Basis haben, ein Streit um die Wasserversorgung ausbricht. Private Firmen wollen, so erfahren wir, die Wasserversorgung der lokalen Bevölkerung kappen und das Wasser der Stadt privatisieren. Ein existenzieller Kampf beginnt für die Einwohner, in welchem sich insbesondere der eingangs als Laiendarsteller gecastete Daniel als Aktivist einbringt. Er ist es der nach dem Verschluss des Brunnens und der damit einhergehenden existenziellen Bedrohung der Menschen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Barrikaden geht und dem Protest sein Gesicht verleiht.

Während sich die Proteste, vor allem aber die Repression gegen diesen, verschärfen wird weitergefilmt. An dieser Stelle werden wir nicht mehr nur innerhalb des Filmsettings vom Gefilmten zum Trubel des Sets begleitet, sondern sehen auch immer wieder in harten Schnitten, dass der Protest eskaliert. Während die Filmcrew auf Einladung des Bürgermeisters im Rathaus bankiert, werden die Menschen, welche für ihr Grundrecht protestieren in der Stadt nicht nur niedergeknüppelt, sondern nach Verhängung des Kriegsrechts auch erschossen. Der Bürgermeister selbst ist es, der mit rassistischen und klassistischen Vorurteilen gegenüber der indigenen Bevölkerung die Filmcrew gegen sich aufbringt. Innerhalb dieser tuen sich im Verlauf zwei Lager auf: Das Lager um Costas, welcher auch aufgrund der ökonomischen Situation um jeden Preis den Film fertigstellen möchte und dafür sogar Daniel versucht mit hohen Geldsummen vom weiteren Protest abzuhalten und ein weiteres Lager welches aus moralischen Gründen den Dreh abbrechen oder lieber einen Film über die Proteste drehen will.

Zu großen Problemen kommt es, als Daniel sich der scheinbaren Vereinbarung mit Costa widersetzt und weiterhin protestiert. Dabei wird er von Polizisten verprügelt und schlussendlich sogar verhaftet und kann seine Rolle als Statist nicht mehr voll ausführen. Als er dann, nachdem Costa ihn mithilfe von Bestechungsgeldern freikaufte, auf dem Filmset während eines Drehs verhaftet wird, sieht das Filmteam ein, dass ein weiterer Dreh nicht mehr möglich ist.

Costas Wandlung

Als das Team seine Sachen zusammenpackt und aus Sicherheitsgründen, die Stadt ist zu einem Kriegsschauplatz geworden, den Dreh abbricht läuft Daniels Frau weinend und bettelnd auf das Team zu. Ihre Tochter sei bei den Protesten angeschossen worden und aufgrund der Blockade der Stadt sei keine Möglichkeit gegeben mit regulären Rettungswagen ihrer Tochter zu Hilfe zu kommen. Zuerst wiegelt Costa ab, lässt dann aber doch die harte und mitleidlose Fassade fallen. Er fährt gemeinsam mit der Frau in das Chaos der Stadt und schafft es das Leben der kleinen Tochter zu retten. Costas Charakter schafft also innerhalb des Filmes eine Entwicklung vom mitleidlosen Businessman zum gefühlvollen Retter.

Das Aufzeigen von Parallelen

Wenn dieser Film eines gut kann, dann das implizierte Gegenüberstellen von Anspruch und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, sowie das Aufzeigen von Kontinuitäten. Während der zu drehende Film die Ausbeutung und die Grausamkeiten der ersten Kolonialisten gegenüber der einheimischen Bevölkerung zeigt und entsprechend auch einen moralischen Anspruch vermitteln möchte, macht sich die Filmcrew das Leid der indigenen Menschen zunutze und beutet sie für den eigenen monetären Erfolg ebenfalls aus. Insbesondere bei Szenen, welche im kolonialen Zeitalter spielen und Hinrichtungen zeigen, werden Szenen der Proteste gegengeschnitten in welchen Protestanten erschossen werden. Wenn im Film Ausschreitungen gegenüber der Kolonialmacht aufgrund der Unrechtsherrschaft gespielt werden und unmittelbar nach der filmischen Erfassung dieser Szenen die Polizei willkürlich Statisten des Filmes aufgrund ihrer Teilnahme an den Protesten festnehmen möchte, welche sich dabei wehren und eine Rebellion am Set auslösen, sind die Parallelen ersichtlich und beinahe greifbar. Begleitet wird dies durch eine aufeinander zusteuernde Darstellung der Eskalation. Dabei werden diese Parallelen zuerst sehr subtil gestreut, verstärken sich im Laufe des Filmes, werden stärker wahrnehmbar und münden letztendlich darin, dass die gespielte Unrechtmäßigkeit im Film und die tatsächliche Unrechtmäßigkeit bezüglich der Proteste nicht mehr räumlich getrennt wird, sondern am Filmset mit der Festnahme Daniels und den anschließenden Ausschreitungen zusammenfließt.  Die Macher von „También la Lluvia” schaffen es so, dass wirklich jeder die Kernaussage des Filmes versteht.

Die Soundkulisse

Untermalt wird dieser Film von szenischer Musik einerseits und kraftvollen Sounds auf der anderen Seite. Die Musik schafft es bildlich dargestellte Differenzen und Stimmungswechsel ebenso wie Schlüsselmomente der Handlung auch auditiv hervorzuheben und damit zu verstärken. Ebenso wird auch das im Film Geschehene durch kraftvolle Sounds verstärkt. Das Knallen der Rotoren des Helikopters welcher beim Aufbau des Filmsets verwendet wird bleibt ebenso im Kopf wie die Schüsse welche das Schreien der Protestierenden unterbricht. Das Stampfen der Polizeistiefel legt dabei eine fast schon martialische Soundkulisse bereit und unterstreicht wer hier die „Guten“ und wer die „Schlechten“ sind.

Die Schwächen des Films

Zugegeben, viele Schwächen kann diese in 104 Minuten gepresste Kritik an den herrschenden Verhältnissen in Lateinamerika nicht aufweisen. Und doch, einige wenige Dinge gibt es. Wenn Daniels Frau beispielsweise um ihr Kind weint, so ist diese Schauspierleistung leider wenig überzeugend. Nur kurz darauf, als sie und Costa wagemutig durch die kriegerischen Auseinandersetzungen der Stadt fahren kommt in mir als Zuschauer ein komisches Gefühl auf: Die „chaotischen“ Szenen wirken irgendwie zu ordentlich. Die Steine welche die Straßen zu einem Hindernisparcours werden lassen sehen sorgfältig platziert aus. Jeder scheinbare Unrat hat seinen angestammten Platz und als das Auto unserer beiden ungleichen Helden in die Beschusslinie kommt, zersplittert die Heckscheibe des Autos in einer Art welche eher an einen Steinschlag als einen Beschuss durch eine Kriegswaffe erinnert. Nichtsdestotrotz, die Atmosphäre des Films wird durch diese Aspekte nicht in besonderem Maße beeinträchtigt.

Die Message

Die Message des Filmes, das heißt seine moralische und ethische Aussage, wird dem Betrachter nie ins Gesicht gedrückt. Durch seine Darstellungsform ist es jedoch für jeden ersichtlich: Kritisiert wird die Kontinuität der Ausbeutung indigener Menschen in Lateinamerika. Dabei verwischt in diesem Anspruch die Frage was Fiktion und was Realität ist. Der historische Hintergrund des Filmes, der als „Wasserkrieg von Cochabamba“ bekanntgewordene Konflikt um die Privatisierung der Wasserversorgung, hat so zweifelsohne im Jahr 2000 stattgefunden. Durch das geschickte Hinzufügen eines Heldenepos wurde dieser Konflikt von einer Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Moral zu einem oscarprämierten Kinofilm.

Fazit

Bollaín schafft es mit diesem Film den Betrachter über 104 Minuten im Kinosessel zu fesseln. Mit packenden Bildern und einer beeindruckenden Soundkulisse gelingt es die Frage nach Ethik und Moral in einer radikal-kapitalistischen Gesellschaft auf künstlerische Art zu verpacken, ohne dabei in zu abstrakte oder politisch propagandistische Darstellungsmuster abzudriften. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ging dabei weit über den Film hinaus und wurde nach dem Abspann breit im Publikum diskutiert. Alles in allem also ein sehr gelungenes Werk!