NO!
2012, Chille/Frankreich/USA, 118 min.
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: Pedro Peirano, Vorlage: El plebiscito (Theaterstück) von Antonio Skármeta
Autor: Fynn K. Tielsch

Im Jahr 1988 war die chilenische Gesellschaft zerstritten: wird mit einem „!Sí!“ die Diktatur unter Pinochet verlängert oder endet die Diktatur mit einem „!No!“. Durch mehrere Ebenen des Films behandelt Regisseur Pablo Larraín die Wahl von 1988 und die „!No!“-Kampagne, die unter dem internationalen Druck Ende der 80er entstehen konnte und der Opposition ermöglichte in fünfzehn Minuten Sendezeit für ein „!No!“ zu werben. Staatschef Pinochet, der 1973 die Macht durch einen Militärputsch erlangte, war klar der Favorit. Doch die Wahl endete mit der Abwahl Pinochet und der Beendigung der Diktatur (vgl. Lockhart 2019: 253). Ausschlaggebend war unterandrem die Nutzung des Medium Films der „!No!“-Kampagne.

Der Film erzählt dabei reale Ereignisse aus der Perspektive der fiktiven Figur René Saavedra. Zudem bedient sich Regisseur Pablo Larraín dem Stilmittel der „Bildmigration“, original Aufnahmen werden mit nachgedrehten Szenen vermischt und an einigen Stelle ist kaum erkenntlich, welche Szenen Originale und welche nachgestellt wurden (vgl. González de Reufels 2015: 77). Aus der Fusion aus real dokumentierten Ereignissen und fiktiven Charakteren, die die Geschichte aus ihren Blickwinkeln erzählen können, schafft Pablo Larraín eine Grundlage einer Diskussion und neuen Interpretation der geschichtlichen Ereignisse.

Zerrissenheit

Im Mittelpunkt steht René, der beauftragt wird die Werbekampagne der Opposition zu leiten. René selbst profitierte unter der Herrschaft Pinochet. Er besitzt eine sichere Arbeit bei einer Werbeagentur, gehört zur Mittelschicht, konnte Studieren und war für einige Jahre im Ausland, er besitzt ein Sportwagen und er selbst erfuhr nie Gewalt durch das System. Mit seinem Sohn kann er ein unbesorgtes Leben führen. Doch René kennt auch die andere Seite der Diktatur durch seine Exfreundin und Mutter seines Sohnes, Verónica, welche unwillkürlich verhafte und Gewalt erfährt, da sie sich gegen das System stellt. René entscheidet sich dennoch für ein sicheres Leben mit seinem Sohn und kritisiert die Diktatur nicht. Er schweigt.

Auch die Bevölkerung ist zerrissen und die Wahlprognosen sprechen klar für die Wiederwahl Pinochet. Doch die Opposition glaubt an eine Abwahl, wenn den Chilenen die Ungerechtigkeit und die Brutalität der Diktatur vor Augen gehalten wird. Dem entgegen setzt die Regierung um Pinochet auf die Verbreitung der vermeintlichen Erfolge der Diktatur und auf eine positive Zukunft. Berater der „!Sí!“-Kampagne ist Renés Chef und Freund Luis Guzmán. Guzmán macht René auf den möglichen Imageschaden ihrer Firma aufmerksam und rät René von der „!No!“-Kampagne ab. René, der beide Seiten des Systems kennt, entscheide sich schließlich die Kampagne anzunehmen und möglicherweise seine Arbeit – sein sicheres Leben – seinen Freund – den sozialen Anschluss – und die Sicherheit seines Kindes – der Zukunft – zu verlieren. Gewinnen könnte er die Freiheit von der Ungerechtigkeit. Eine Zerrissenheit, die von vielen Chilenen geteilt wird.

Der Film folgt nun den Arbeiten um die zwei Kampagnen. An einem langen Tisch und in hierarchisch aufgeteilter Sitzordnung werden die Erwartungen und die bestimmenden Themen an die „!Sí!“-Kampagne an Guzmán weitergegeben. Die Kameraführung ist statisch und sucht nach Symmetrien. Wenn jemand spricht, dann immer zu Pinochet, der das letzte Wort hat und klar über allen im Raum steht. Dies zeigt sich in der Sprache, der am Tisch Sitzenden, die ständig Pinochet umschmeicheln aber auch seine Zustimmung erwerben wollen.

Alleine durch den Bildaufbau der gegenübergesetzten Szene, wird die Zerstrittenheit der Opposition deutlich: in einem Raum mit kreisförmigen Tischreihen, bis zu drei Reihen hintereinander, sitzen die Vertreter der Opposition und diskutieren. Die Kamera schwenkt zwischen Redner hin und her und zu einem klaren Ergebnis kommt es nicht.

In einer weiteren Szene sehen sich Oppositionelle, diese mal deutlich weniger, zusammen den ersten Spot von René an. Der kurze Spot ist geprägt von Leichtigkeit, frohen Farben und überdrehten Bewegungen – ganz anders als sich die Köpfe der Oppositionellen sich ihre Kampagne vorstellen. Sie wollen das Leid und die Ungerechtigkeit der Jahre den Menschen vor ihren Fernsehern zeigen. Es gibt kaum Verständnis für die Werbemittel von René, und einige verlassen den Raum mit den Worten: Es sei doch keine Coca-Cola Werbung. Doch die ersten Spots werden gedreht, wenn auch mit popkulturellen Stilmitteln, die vor allem aus den USA stammen, und von der sozialistischen Opposition nicht begeistert aufgenommen wird.  

Repräsentation

 Eine wiederkehrende Szene ist die Übertragung der zwei Wahlkampagnen. Abwechselnd wird zwischen dem Programm im Fernseher und den Reaktionen der Macher*innen geschnitten. Während die „!No!“-Kampagne auf Renés bunte und lebensfrohe Bilder setzt, wirken die strikten Bilder der „!Sí!“-Kampagne militärisch und streng. Je weiter doch die Kampagne um René voranschreitet, desto kritischer wird sie. Wurde am Anfang noch ein Picknick an einem Sommertag und Lieder zum Mitsingen gesendet, so wird nach und nach die Kritik an der Diktatur immer präsenter. Zunächst werden Geschwister und Mütter von Verstorbenen oder Verschleppten durch die Diktatur interviewet, dann wird Filmmaterial von der Gewalt der Regierung gezeigt. Gewalt die in diesem Medium der Öffentlichkeit vorbeihalten war.

Die Regierung reagiert mit Einschüchterung und Gewalt. Ein Anrufer der René nach seinem Sohn fragt und auflegt. In roter Farbe geschriebene Beleidigungen an der Terassentür. Und die Verfolgung der Mitarbeitenden der Kampagne. Nach den Ereignissen gibt René seinen Sohn zu Verónica, um ihn in Sicherheit zu wissen. Auch wird ein Spot vorher abfangen und durch ein offensichtlich parteiisches Gericht, als „Angriff auf die Unabhängigkeit des Justizsystems“ einstufen und wird deswegen nicht ausgestrahlt. Die „!No!“-Kampagne wehrt sich mit dem einzigen Mittel über die sie verfügt – der Aufklärung. In dem nächsten fünfzehnminütigen Spot wird über die Zensur berichtet und gleichzeitig die Vertuschung und Zensur der Regierung angegriffen. Danach kann sich Pinochet nicht noch einmal leisten, ein Spot zensieren zulassen.

Während einer friedlichen Veranstaltung der „!NO!“-Kampagne, bei der René seinen Sohn und Verónica mitnimmt, wird die Veranstaltung gewaltvoll von der Polizei aufgelöst und die Teilnehmer werden verhaftet. In den Wirren versucht René seinen Sohn zu schütze, aber auch Verónica, die von einigen Polizisten festgehalten wird, zu helfen. Verónica schreit ihn darauf an, René solle sich um ihren Sohn kümmern und nicht um Sie. Später auf der Polizeiwache kann René, durch seinen Freund und Chef Guzmán, Verónica abholen. Auf den Dank Renés winkt Guzmán ab: Keine Ursache. Die Szene verdeutlicht zu einem eins: es geht hier um die Kinder, um die Zukunft, und zum anderem erzählt die Szene auf schlichte weise: Die Gesellschaft ist zerstritten, hat aber doch dasselbe Ziel. Auch wenn sein Freund und Chef die „!Sí!“-Kampagne leitet, ist er dennoch auf Renés Seite und hilf ihm.

Diese Narrativ, um die schweigende Zustimmung Guzmán an René, wird an mehreren Stellen im Film erzählt. Die Schlussszene sticht besonders heraus. Sie ist mit der Anfangsszene im Aufbau und Wortlaut beinahe identisch und schließt damit den Erzählkreis, doch erzählen die beiden Szenen, durch ihre Gleichheit, auch den Unterschied oder den vermeintlichen Unterschied: Guzmán und René stellen einen Werbe-Spot einer Firma vor. Während in der Anfangsszene Guzmán einfach das Wort an René weiter gibt, erklärt Guzmán in der Schlussszene, René hätte bei der erfolgreichen „!No!“-Kampagne mitgewirkt. Die Anwesenden nicken zufrieden und lächeln. Es ist das erste mal, dass Guzmán seine Zustimmung an René verbal äußert.

Fiktion und Fakten

Wenn dieser Film eines kann, dann kann er uns Diskussionsstoff geben. Was sagt der Film am Ende aus? Das die Mehrheit der Chilenen gegen Pinochet war, aber im Angesicht der Repression Pinochet akzeptierten? Oder wollte der Film einfach die Ereignisse nacherzählen? Über den Inhalt könnten wir lange diskutieren. Doch genau so wichtig oder sogar wichtiger ist die Machart des Films. Wie schon anfangs erwähnt, nutze Larraín das Stilmittel der „Bildmigration“, wodurch nachgestellte Szenen und original Szenen zusammengeschnitten werden. Zudem wurde der gesamte Film mit einer analogen U-matic-Kamera gefilmt (vgl. González de Reufels 2015: 85). Dem gleichen Model mit dem der Großteil des Archivmaterial aufgenommen wurde. Dadurch wird die Unterscheidung erschwert und die Szene gehen ineinander über.

Diese Technik ist kritikwürdig, da durch die Vermischung der Zusehende nicht unterscheiden kann, welche Szenen fiktiv oder Zeitdokumente sind. Im Endeffekt besteht die Gefahr, dass der Konsument*In dem Film nicht traut und so kein gesichertes Wissen aus dem Film mitnimmt, es sei denn, er oder sie beschäftigt sich im Nachhinein mit dem Thema und kann so den Film einordnen. Zudem könnte der Film als gesicherte Quelle für Informationen wahrgenommen werden. Doch allein durch die Dramaturgie eines Spielfilms kann der Film nur teilweise eine zuverlässige Informationsquelle sein. Da eine dramaturgische Erzählung dazu neigt, eine Handlung zu erzählen, die ein bestimmtes Ziel (ein erzählerisches Ende) ansteuert, weshalb Teile der Erzählung gekürzt oder adaptiert werden.

Doch ich möchte die Möglichkeiten dieser Machart in den Vordergrund stellen. Vor allem den Punkt der Zugänglichkeit. Denn der Film schafft es diesem historischen Thema gerecht zu werden und in einem Massenmedium zu verpacken. Aber auch das Interesse von Geschichtswissenschaftler*Innen und weiteren Sozial- und Kulturwissenschaften sollte geweckt werden, nicht zuletzt durch den Grundboden für Diskussionen, der dieser Film legt. Dies gelingt in erster Linie durch die „Bildmigration“, die historischen Ereignisse wieder in das gesellschaftliche Bewusstsein trägt, welche eine Demokratisierung einer politischen Diskussion voraussetzt.

Abschließend möchte ich einmal mehr an das Gerne des Spielfilmes erinnern, dass nicht die Absicht hat, Realität und Wahrheiten wiederzugeben, sondern eine Geschichte zum Nachdenken erzählt. Dennoch sollten Spielfilme wie jener nicht als Fiktion abgetan werden. Im Gegenteil. Wir sollten sie nutzen um unseren Horizont zu erweitern und uns immer wieder auf ihre Ideen einlassen: ob wir ihnen nun zustimmen oder nicht, sollten wir die Filmen nutzen und uns kritisch mit ihnen auseinandersetzten.

Literaturverzeichnis

González de Reufels, Delia (2015), “Bildmirgration und Geschichte. Das Ende der chilenischen Militärdiktatur in Pablo Larraís Spielfilm NO“, Film und Geschichte. Produktion und Erfahrung von Geschichte durch Bewegtbild und Ton, 2015, S. 77-88.

Lockhart, James (2019), „Jefe de la Plaza: The Rise of Augusto Pinochet”, Chile, the CIA and the Cold War. A Transatlantic Perspective, 2019, S. 233-257.