1958/ 95 Minuten/ USA

Regie: Orson Welles

von Inke Ammermann

Das Gute und das Böse und die Grenze dazwischen – Im Autorenfilm von Orson Welles „Im Zeichen des Bösen“ (engl.: Touch of Evil) aus dem Jahre 1958 wird gemäß eines film noirs mit der Oszillation zwischen Licht und Schatten gespielt. Diese Oszillation wird von der Konfrontation zweier Wertvorstellungen begleitet. Hank Quinlan, dargestellt von Orson Welles selbst, und Miguel Vargas, verkörpert von Charlton Heston, demonstrieren als Protagonisten des Kriminalfilms genau diese Konfrontation und das Dazwischen.

Eine tickende Zeitbombe

Tick tack, tick tack, tick tack – Eine Uhr, eine Bombe und ein Auto eröffnen den Klassiker. „Im Zeichen des Bösen“. Die Uhr an der Bombe wird von einer unbekannten Person gedreht und unter die Stoßstange des Wagens von Linnekar geklemmt. Der Geschäftsmann Linnekar und seine Partnerin steigen unwissend in das Auto ein und fahren los. Es folgt eine beeindruckende Sequenz. Eine frontale Aufnahme des Autos eröffnet für die Rezipient*Innen die Szene. Zu sehen ist eine große Straße, vereinzelte Autos und Menschen, die am nächtlichen Leben der Stadt teilnehmen. Das Auto fährt und die Kamera folgt, wie ein Schatten dem Licht. Verschiedene Kameraperspektiven, von oben und von unten, unterstützen die Dynamik der Szene und den glatten Wechsel zwischen dem Auto von Linnekar und dem Vargas-Ehepaar. Das Auto verlässt den Vordergrund der Szene, befindet sich nun im Hintergrund und Miguel und Susan Vargas sind im Fokus. Sie laufen und das Auto fährt weiter. Angekommen auf einer Höhe überqueren alle die Grenze von Los Robles – eine mexikanische Grenzstadt – in die USA. „Ich habe so ein eigenartiges Ticken“, stellt die Beifahrerin fest. Tick tack, tick tack – die Grenze wird überquert und die Bombe explodiert – eine tickende Zeitbombe eben. Welles schafft es in dieser einen Sequenz einen großen Spannungsbogen zu erstellen. Als Rezipient/ Rezipientin ist man sich gewiss, dass eine Bombe als blinder Passagier unter dem Auto von Linnekar schlummert. Durch die Uhr am Anfang des Films wird die Vorstellung von Zeit vermittelt. Das Bewusstsein der ablaufenden Zeit wird durch das Ticken der Uhr bestärkt. Von Minute zu Minute wird die Spannung und der Kontrast zwischen guter Stimmung und Furcht vor Unheil größer. Es folgt die Explosion. Die eindrucksvolle Kamerafahrt ist beendet und die Exposition wird fortgesetzt.

Ein Saubermann und ein zwielichtiger Cop

Miguel – auch amerikanisiert Mike genannt – Vargas verkörpert einen angesehenen Drogenfahnder aus Mexiko, der gerade frisch verheiratet mit seiner Frau Susan Vargas von Los Robles die Grenze in die USA überquert. Er fühlt sich umgehend verantwortlich für die Ermittlungen im Fall der explodierten Bombe. Doch auf der amerikanischen Seite scheinen andere Winde zu wehen. Welles eröffnet diese maßgebliche Konfrontation mit der Einführung des Captain Hank Quinlan´s. Die Kamera in einer leichten Untersicht und einer halbnahen Einstellung führt den Polizisten in den Film ein. Noch bevor Quinlan einen Satz spricht, wirkt sein gesamtes Erscheinungsbild, um den Charakter einzuordnen. Er steigt aus dem Auto aus. Zu sehen: ein Hut auf einem runden, aufgequollenen Gesicht. Seine tränenden Augen nehmen den Ort der Explosion wahr. Breite Finger umschließen eine Zigarre. Ein kräftiger Mann mit Anzug, Mantel und Krawatte zeigt sich. Seine nuschelnde, kratzenden Stimme unterstützt die zwielichtige Gesamtwirkung, die von dem amerikanischen Polizisten ausgeht. Die Zwielichtigkeit wird nicht nur durch das Aussehen Quinlan´s untermauert, sondern auch durch die Beleuchtung in dem low-key-Stil zementiert. Der große Hut wirft tiefe Schatten in das Gesicht des Polizisten und die Beleuchtungstechnik unterstützt diese Wirkung maßgeblich. An dieser Szene zeigt sich die beeindruckende Technik, die den Film charakterisiert. Kameraeinstellung, Beleuchtung und Perspektive untermauern Quinlan´s Charakter und verleihen ihm einen wirkungsvollen ersten Auftritt.

Zwischen Wirkmacht und Instrumentalisierung

Von wirkungsvollen Auftritten hin zu instrumentalisierten Charakteren – Susan Vargas (Janet Leigh), Miguels Frau, wird vom Ort des Geschehens weggeschickt, zu unsicher scheint die Situation für den mexikanischen Drogenfahnder. Ein mysteriös wirkender Mann mit schwarzer Lederjacke beobachtet Susan, verfolgt sie, spricht sie an und fragt nach Miguel. Aus Naivität oder vielleicht doch aus Determiniertheit folgt Susan dem Mann direkt in die Arme von Joe Grandi (Akim Tamiroff) – dem quasi Interimschef der Drogenbande innerhalb der Grenzregion. Ein schmieriger, böswillig erscheinender Mann mit dünnem Schnurrbart, dunklen Haaren verkörpert den Kopf der Drogenbande. Grandi´s Bruder ist in Haft und Miguel soll gegen ihn aussagen. Einschüchterungsversuche seitens der Grandi´s sollen das Verfahren beeinflussen. Susan scheint den Drohungen und Einschüchterungen gewachsen und verteidigt sich lautstark und direkt. Eine vielleicht sehr unübliche Art und Weise Frauen in den 1950ern zu porträtieren. Doch fällt auf, dass sie sich hinter der Macht ihres Mannes versteckt und diese für sich nutzt. Ihr Charakter wird instrumentalisiert, um den männlichen Charakter – Miguel Vargas – zu unterstützen. Letztlich scheint ihre lautstarke Verteidigung nicht viel zu nutzen, da die Grandi´s Susan Vargas als Miguel´s Schwachstelle festmachen und dies ihm späteren Teil des Films für sich zu nutzen wissen. Die Entstehungszeit des Filmes wirkt dort nach, aber schließt die Einbindung eines starken weiblichen Charakters – Tana, gespielt von Marlene Dietrich – nicht aus. Sie scheint eine große Wirkung zu haben, obwohl sie über nicht viel Screentime verfügt. Diese Wirkung kann anhand ihrer Beziehung zum Protagonisten Hank Quinlan festgemacht werden. Das erste Aufeinandertreffen beider Charaktere geschieht als Quinlan auf der Suche nach weiteren Zeugen für die Ermittlung der Explosion ist. Tana macht den Polizisten auf seinen äußerlichen Verfall aufmerksam. Seine gegenwärtige Erscheinung sei nicht mehr mit seiner vergangenen Physis zu vergleichen. Es wird deutlich, dass die beiden eine engere, intimere Beziehung zueinander hatten. Die Musik im Laden sei wie früher, so Quinlan. Tana kann ihm bei seinen Ermittlungen nicht helfen und Quinlan verlässt den Laden. Die Relevanz ihres Charakters wird wahrlich erst gegen Ende des Films deutlich als sie Quinlan´s Leben resümiert. „Er war schon ein seltsamer Mann.“

Antagonisten bis in den Tod?

„Sie reden jedenfalls nicht, wie so… wie so ein Mexikaner.“ Dieser Satz fällt in der ersten Konfrontation beider Protagonisten. Quinlan´s rassistischer Unterton gegenüber Vargas zieht sich durch den ganzen Film und lädt die Darstellung beider Personen auch in dieser Hinsicht auf. Der Drogenfahnder fühlt sich determiniert den Fall zu lösen, genauso wie Quinlan, der mit seiner berüchtigten Intuition schon direkt einen Verdacht äußert. Beide Protagonisten ermitteln bis sie zusammen bei einem Verdächtigen erscheinen. Hauptverdächtiger scheint Manolo Sanchez (Victor Millan) zu sein, der Freund von Marcia Linnekar (Joanna Moore) – Tochter des Mordopfers. Quinlan humpelt in das Haus von Marcia, auch Sanchez ist anwesend. Sanchez wurde der Job bei Linnekar gekündigt, als dieser herausfand, dass er mit seiner Tochter zusammen ist. Quinlan vermutet Hass und Heimtücke als Motiv. Sanchez und Vargas kommunizieren auf spanisch miteinander – der Captain versteht nichts. „Reden Sie bitte in unserer Sprache“, murrt der brummige Mann. Vargas scheint hier als Vermittler zwischen Mexiko und den USA zu fungieren. Er übersetzt, doch Quinlan degradiert ihn und demonstriert seine xenophobische, rassistische Grundhaltung. Vargas lässt sich nicht beirren und sucht ein Telefon, um mit Susan zu sprechen. Er äußert Zweifel gegenüber Quinlan´s Ermittlungsmethoden. Er würde einen Unschuldigen verdächtigen, so Vargas. Wieder am Befragungsort, wird Dynamit im Besitz von Sanchez gefunden. Vargas´ Zweifel zementieren sich und er scheint sich sicher zu sein, dass dies von Quinlan inszeniert wurde. Der Captain wittert Gefahr ausgehend von Vargas und schließt sich mit Grandi zusammen, um gegen Vargas vorzugehen. Ein Gesetzeshüter gilt normalerweise als integrere, ehrliche, loyale Person. Quinlan bricht mit dieser Norm und schließt sich mit dem bösen Grandi zusammen. Es verdeutlicht den Übergang von gut und böse und die Grenze dazwischen. Der Plan: Susan soll entführt werden. Dabei soll ihr eine Drogensucht angehängt werden. Sie ist sozusagen Mittel zum Zweck für den Plan. Grandi, Menzies (Joseph Calleia) – Partner von Quinlan – und Quinlan sorgen für die Entführung. Vargas scheint nichts davon mitzubekommen, ermittelt weiter im Fall und findet vernichtende Beweise gegen Quinlan und seine Ermittlungsmethoden. Menzies gesteht Fehler ein und ein Großer scheint zu fallen. Quinlan wurde entlarvt und er verliert seine Integrität.

Das Spiel von Licht und Schatten

Der Verlust der Integrität treibt Quinlan weiter und weiter in den Abgrund. Grandi, Susan Vargas und Quinlan befinden sich in einem Hotelzimmer. Der Polizist will Susan umbringen. Grandi – der archetypische Böse – ist verstört von Quinlan´s Plänen und letztlich wird er selbst Opfer seines Plans. In einer dramatischen Szene, die durch diverse kinematographische Aspekte gekennzeichnet ist, verliert Grandi sein Leben durch Quinlan. Bedrohliche, immer lauter werdenden Musik, Einsatz von Licht und Schatten im Wechsel, was die Angst in Grandi´s Gesicht und die Entschlossenheit in Quinlan´s Gesicht bestärkt, sowie diverse Kameraperspektiven unterstreichen, die Bösartigkeit der Szene. Grandi ist tot und Quinlan ist verloren. Ein Fehler unterläuft dem Polizisten: Er vergisst seinen Krückstock am Tatort.

Die verlorene Zukunft

Menzies und Vargas planen Quinlan zu enttarnen. Die Inszenierung der Beweise und der Mord an Grandi können Quinlan deutlich zugeordnet werden. Mit einem Mikro ausgestattet, trifft Menzies sich auf einer entlegenen Baustelle mit seinem ehemaligen Partner. Menzies und Vargas wollen ein Geständnis einholen. Miguel Vargas versteckt sich und folgt den beiden im Verborgenen. Quinlan ahnt die Intrige und erschießt Menzies. Niemand würde Vargas glauben, wenn er Quinlan beschuldigen würde, so der Captain zu Vargas. Ein weiterer Schuss fällt. Menzies trifft Quinlan und Vargas kann entkommen. Während das Vargas-Ehepaar wieder vereint ist, fällt Quinlan unter den Augen von Tana und stirbt im kalten, dreckigen Baustellenwasser. Dies ist der Fall eines Großen, dessen Zukunft – laut Tana – schon vorher verloren war.

Was ist gut und was ist böse?

Die Dichotomie von gut und böse und die Grenze dazwischen scheint den Film zu beschreiben. Captain Hank Quinlan verkörpert als Protagonist des Films diese Dichotomie. Er ist nicht gut und nicht böse. Als integrer scheinender Polizist wechselt er die auf die offensichtlich böse Seite. Quinlan denkt er würde das Richtige tun, tut dabei aber das Falsche. Er ermordet Grandi und verliert auch sein eigenes Leben. Es stellt sich heraus, dass er mit seiner Intuition doch richtig lag – Sanchez war der Mörder von Linnekar. Es kann also nie einen definitiven Verlierer oder einen definitiven Gewinner geben oder kann es das? Der film noir ist meisterhaft inszeniert. Innovative Szenen, interessante Musik und eine ideale Licht-Schatten-Inszenierung verknüpfen sich zu einem Ganzen und geben dem Film eine außergewöhnliche, fast schon bösartige Atmosphäre, wie man es sich vom Titel „Im Zeichen des Bösen“ auch verspricht. Die Charaktere spielen mit dieser Atmosphäre. Von Antagonisten – Quinlan und Miguel Vargas – bis hin zu starken weiblichen Charakteren, wie Tana, bietet der Klassiker ein großes Spektrum von Personen, die den Film mit ihrer Art und Weise prägen und füllen. „Im Zeichen des Bösen“ hat all dies und ordnet sich folglich auch in die Reihe der Klassiker des film noirs ein.