„Eine erschreckende filmische Darstellung über Besessenheit und Gewalt eines Kleinkriminellen.“

„Tony Manero“ ist ein chilenischer Film aus dem Jahr 2008 unter der Regie von Pablo Larraín. Daran beteiligen sich unter anderem die Schauspieler Alfredo Castro, Amparo Noguera, Héctor Morales, Paola Lattus und Elsa Poblete. Viele der Schauspieler wirken auch in Larraíns anderen Filmen über Lateinamerika mit. Beispielsweise wird der Protagonist des Filmes von Alfredo Castro verkörpert, welcher ein Stammgast in Larraíns Filmen ist, dabei häufig die Hauptrolle spielt und diesmal sogar Co-Autor des Drehbuches ist.

Der Film gewann den Hauptpreis beim Turiner Filmfestival 2008 und war Chiles Einreichung bei den 81. Academy Awards für den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Dort schaffte er es jedoch nicht in die engere Auswahl. 2009 gewann er die Goldene Tulpe beim Istanbul International Film Festival.

„Tony Manero“ beginnt mit einer kameraperspektivischen Verfolgung eines Mannes mit einem Anzug über der Schulter. Er geht durch den Backstage-Bereich eines Fernsehstudios; vorbei an Bühnenbauern und Tänzerinnen. Er wird von einem Wachmann zu einem Wartebereich geführt, wo er erfährt, dass er eine Woche zu früh ist. Er hat das Registrierungsdatum verwechselt und der Zuschauer erlangt einen ersten Eindruck eines bleichen, wortkargen Einzelgängers, der sich als Tony Manero ausgibt, anstatt seinen echten Namen zu nennen.

Bei dem Mann in den Fünfzigern handelt es sich um die Hauptfigur Raúl Peralta gespielt von Alfredo Castro. Er ist förmlich besessen von John Travoltas Kunstfigur Tony Manero aus dem US-amerikanischen Tanzfilm „Saturday Night Fever“. Unter der Regie von John Badham wird das Leben junger Menschen in der New Yorker Diskoszene und der dort entstandenen Subkultur Ende der Siebziger Jahre portraitiert. Raúl widmet sich explizit der Simulation Maneros Redewendungen und seiner großartigen Tanzdarbietungen. Bis ins kleinste Detail versucht er Travolta nachzuahmen, um selbst den perfektesten Tony Manero darbieten zu können. Er färbt sich die Haare, besorgt sich notwenige Requisiten und besucht unzählige Male das Kino um sein Idol so getreu wie möglich verkörpern zu können.

Zu Beginn versucht Peralta an einem Wettbewerb der beliebten Sendung „Festival de la una“ des Senders „Television Nacional de Chile“ teilzunehmen, die jede Woche nach „dem Doppelgänger von“ sucht. Dieses Mal sucht sie nach dem Doppelgänger von Tony Manero.

Seine Bemühungen, seinem Idol nachzueifern und den Wettbewerb zu gewinnen, lassen den Film unter einem bifokalen Prisma ablaufen, das die wenigen Skrupel der Hauptfigur und die harte Realität seiner Umgebung zeigt.

Besonders hervorzuheben sind Raúls Wutausbrüche, welche sehr intensiv sind und für den Zuschauer sehr plötzlich auftreten. Als er von seinem Zimmerfenster einen Überfall einer alten Dame miterlebt eilt er ihr zur Hilfe und trägt ihr die Einkäufe nach Hause. Dort fällt ihm der neue Farbfernseher auf. Kurzerhand erschlägt er die Frau, teilt sich das Essen mit der Hauskatze, zündet sich eine Zigarette an und verschwindet dann mit dem Fernseher. Es ist ein rücksichtloser Mord, der das Publikum auf eine schreckliche Art verwirrt. In jedem Moment kann die Gewalt ausbrechen. Speziell dann, wenn Raúl die Gelegenheit zu einem Geldgewinn sieht. Auch in alltäglichen Situationen neigt er zu Wutausbrüchen. Während einer Probe auf der Bühne im Erdgeschoss fällt er auf den morschen Holzboden. Er reißt einige Holzlatten heraus und ist nur schwer zu bändigen. Letztendlich beleidigt er seine Vermieterin Wilma und setzt sich in den Kopf den Bühnenboden aus Glas nachzubauen, sodass Licht wie im Film „Saturday Night Fever“ hindurchscheinen kann und die Show von unten beleuchtet wird.   

Er lebt in einer heruntergekommenen Doppelhaushälfte in Santiago mit einer Clique von Amateurtänzern als Nachbarn. Im Erdgeschoss befindet sich eine kleine Bühne, auf der sie ihre Tanzeinlagen proben und gelegentlich mit ihrer einstudierten Hauptchoreografie des amerikanischen Filmes auftreten, um Kunden zu unterhalten.

Zu seiner Gruppe gehören seine Freundin Cony, ihre heranwachsende Tochter Pauli und Paulis Freund Goyo. Pauli und Goyo engagieren sich im Untergrund gegen das Pinochet-Regime. Goyo gibt einem Mann ein paar politische Flyer mit. Raúl verfolgt den Mann und will sich ihm nähern. Zufälligerweise erscheint die Geheimpolizei und schießt ihn nieder. Nach einer Weile kehrt Raúl zu der Leiche zurück und stiehlt die Armbanduhr des Mannes. Er geht zu einem Schrotthändler, wo er die Uhr gegen ein paar dicke Glasbausteine ​​tauscht. Da er mehr Glasbausteine ​​benötigt, tauscht er die geklaute Uhr gegen ein paar Knochen ein, verschafft sich eines Nachts Zugang zum Grundstück des Schrotthändlers, lenkt die Hunde mit den Knochen ab und tötet den Besitzer. Danach stiehlt er die restlichen Glasbausteine. 

Zu einem späteren Zeitpunkt des Filmes betritt die Geheimpolizei in Zivil das Haus um Pauli und die anderen politischen Verdächtigen zu verhören und festzunehmen. Raúl gelingt es jedoch sich über das Dach davonzuschleichen und fährt mit dem Bus zum Fernsehstudio um an dem Doppelgänger-Wettbewerb teilzunehmen.

Es ist ein Film, der in Santiago de Chile auf dem Höhepunkt der Militärdiktatur von Augusto Pinochet spielt. Während der 17-jährigen Diktatur von Augusto Pinochet kam es zu weitereichenden Menschenrechtsverletzungen, Ermordungen und dem Verschwindenlassen von politischen Gegnern. Der Regisseur Pablo Larraín bemüht sich dem Film einen für die Zeit typischen Mantel aus Dekadenz, Gewalt und Dunkelheit zu verleihen.

Des Weiteren verdeutlicht er eine krankhafte Idolisierung und den Einfluss der westlichen Kultur auf fremde Länder.

Pablo Larrain verwendet einige untypische filmische Mittel. Als Drehorte dienen vor allem Raúls Wohnung, die Bühne im Erdgeschoss, das Kino, wo sich Raúl „Saturday Night Fever“ wiederholt anschaut, das Grundstück des Schrotthändlers sowie das Fernsehstudio von „Television Nacional de Chile“. Alle Schauspieler sind im Stile der 70er-Jahre gekleidet. Raúl sieht man meist in einer dunklen Jeanshose mit einem längsgestreiften Hemd und einer grauen Jacke. Goyo ist oft etwas sportlicher gekleidet und die Damen tragen häufig lange Kleider. Coni trägt zudem auffälligen Liedschatten. Bei ihren Auftritten versuchen sie sich an der Kleidung aus dem US-amerikanischen Film zu orientieren.

Auch die Filmmusik orientiert sich an den Melodien aus „Saturday Night Fever“ (1977) und „Grease“ (1978). So findet der Song „You Should Be Dancing“ der Bee Gees mehrmalige Verwendung im Film.

Besonders hervorzuheben ist für mich die Kameraführung durch das tragbare 16-mm-Objektiv. In vielen Szenen wird Raúl damit verfolgt. Es entstehen dynamische und verwackelte Aufnahmen. Zudem wird mit einem verschwommenen Fokus gespielt um die Nähe eines schmutzigen und heruntergekommenen Milieus zu betonen. Das Farbschema ist sehr gedämpft und passt in die tristen 70er-Jahre in Chile. Der Schnitt ist aus meiner Sicht normal schnell. Oft wird in einer Halbtotalen gefilmt und die Kamera läuft weiter, wenn sich die Einstellungsgröße ändert.

Szenen bzw. Schauplätzen die mir besonders in Erinnerung blieben, waren die Ermordung der alten Dame für den Farbfernseher und das einprägsame Ende mit dem Ausgang des Double-Wettbewerbs. Dieses lässt zudem Freiraum für Interpretation, doch eigentlich ist schon klar, was im Anschluss passieren wird.  

Die Handlungen fand ich allesamt verständlich. Dennoch halte ich ein Hintergrundwissen über die Abläufe in Lateinamerika bzw. vor allem Chile in den 70er-Jahren von Vorteil. Erneut wurden mir die Auswirkungen der politischen Spannungen auf das Privatleben der Bevölkerung bewusst. Des Weiteren wurde die Skrupellosigkeit der Geheimpolizei und des Protagonisten eindrucksvoll veranschaulicht. Die meisten Filme über Lateinamerika zu der Zeit haben einen gewissen Sinn für eine harte Realität, aber stellenweise neigt dieser zu einer übertriebenen Darstellungsform.

Aus meiner Sicht ist es ein durchschnittlicher Film. An manchen Stellen fühlt er sich wie eine Dokumentation an. Auf Momente der Ruhe folgen plötzliche schockierende Gewaltdarstellungen, welche ihn sehr kraftvoll wirken lassen. Ob es sich bei Raúl um einen Serienmörder handelt ist infrage zu stellen. Sicherlich kann man festhalten, dass er nur gezielt jeden aus dem Weg räumt, der zwischen ihm und seiner Besessenheit mit John Travolta steht.

Zusammenfassend ist Pablo Larrains Film eine böse Fantasie von Disco-Glanz, die einen obsessiven und verdrehten Charakter darstellt, der bereit ist zu töten, um seine groteske Vision von Anerkennung zu verwirklichen. Die rasende Gewalt in diesem Film ist so plötzlich und unerklärlich, dass es einem buchstäblich stellenweise den Atem raubt. Der Film scheint eine subtile Metapher und eine Diskrepanz darzustellen, die die stark stilisierte Natur der Disco mit dem kompromisslosen faschistischen Pinochet-Regime vergleicht.

Wichtigste Informationen:

  • Titel des Films: Tony Manero
  • Namen der beteiligten Schauspieler: Alfredo Castro, Antonia Zegers, Amparo Noguera, Marcelo Alonso, Hector Morales, Elsa Poblete, Maite Fernandez
  • Name des Regisseurs/ Directors: Pablo Larrain
  • Filmgenre/ Filmart: Drama
  • Produktionsland: Chile
  • Erscheinungsdatum: 17. Mai 2008
  • Länge des Films: 97 Minuten