TW: Sexuelle Gewalt, Folter

Regie: Florian Gallenberger

Genre: Thriller

Länge: 110 Min

Erscheinungsjahr: 2015

Pov: Du läufst an einem Maschendraht Zaun entlang, der nicht nur hoch sondern auch elektrisch geladen ist, vorbei an einem Schild, welches dich in großen Buchstaben mit einem „KEEP OUT“ praktisch anschreit, bis hin zu einem hölzernen Tor dessen Überschrift sich Colonia Dignidad liest. Du klopfst, nicht all zu laut und doch bestimmt, an das Tor, denn du hast eine Mission. Dein Freund wurde von einer Sekte entführt, die sich – vielleicht, du weißt es eigentlich auch nicht so genau – auf der anderen Seite befindet und du hast dir bei der Arbeit eine Woche freigeschaufelt, um ihn aus den Fängen dieses Folterlagers zu befreien. Eine alte Frau, mit eisernem Blick, öffnet das Guckloch und sagt: „Grüß Gott“. Daraufhin erwiderst du das gleiche, als wäre es das „Sesam Öffne dich“, in Sekten Sprache. Als hättest du es geahnt wird dir der Weg frei gemacht um dich – ganz temporär, versteht sich von selbst und ja auch nur für eine Woche, richtig? – als neues Mitglied zu begrüßen. Das ist deine Chance deinen Meisterhaften Plan in die Tat umzusetzen.

Es schreibt sich das Jahr 1973 und der Beginn des Monats September, es läuft „Ain’t no sunshine“ und wir schauen, wie durch einen Filmkamerafilter – grain ist wieder in -,  der jungen deutschen Flugbegleiterin, Lena (Emma Watson), zu wie sie zu einem Überraschungsbesuch in Chile landet um ein paar Tage mit ihrem Freund, Daniel (Daniel Brühl), zu verbringen. Der ebenfalls deutsche Fotograf lebt und arbeitet seit ein paar Monaten in dem Lateinamerikanischem Land. Er engagiert sich bei einer linken AktivistInnengruppe, welche hinter Präsident Salvador Allendes Politik steht, durch die Illustration von Postern und dem Verteilen von Flugblättern auf Protesten. A true white savior. Schon seit Beginn von Staatsoberhaupt Allendes Amtszeit, 1970, sorgte seine, auf demokratischem Wege gewonnene, Stichwahl, für Unruhen. Die Lage spitzt sich immer weiter zu und der politische Konflikt sollte die Luft eigentlich elektrisch Aufladen, stattdessen erhaschen wir einen Blick auf Daniels nacktes Hinterteil, weil jener, nur mit einer Schürze bekleidet, das Frühstück für seine Freundin vorbereitet.  Am Morgen des 11ten Septembers reißt Pinochet, mithilfe des US Amerikanischen Militärs, durch einen Putsch, die Macht an sich. Der Präsidentenpalast wird bombardiert, anschließend gestürmt und im Laufe der Ereignisse nimmt sich Allende das Leben. Jede Person die mit sozialdemokratischem Aktivismus in Verbindung gebracht werden kann, muss jetzt mit größter Vorsicht handeln. Eine Diktatur hat begonnen und sie wird für lange Zeit kein Ende in Sicht lassen. Daniel wird über die Lage und die möglichen Konsequenzen die dies für ihn haben könnte, telefonisch informiert und verlässt überstürzt, in einer Hand die Kamera, an der anderen Lena, die Wohnung um zu fliehen.  Kurz darauf wird das Pärchen vom Militär festgenommen, da Daniel, seinem Beruf gerecht werden wollend, Bilder der Übernahme auf den Straßen, macht. Der junge Mann wird als Allende Sympathisant wiedererkannt und in einem weißen Bus mit einem roten Kreuz auf der Tür, entführt. Lena bleibt zurück und beginnt direkt nach ihrer Freilassung, mit den wenigen Anhaltspunkten die sie hat, die Suche nach ihrem Liebsten.

Die junge Frau spürt, ganz ohne Angst, die AktivistInnengruppe auf, zu der sich Daniel zugehörig fühlt und fragt nach dem weißen Bus mit dem roten Kreuz, da dies ihr einziger Anhaltspunkt ist. Der ZuschauerInnen hört das erste Mal den Namen „Colonia Dignidad“ und kann beginnen sich ein grobes Bild von dem Ort zu machen an den Daniel verschleppt wurde. „Kolonie Würde“, aus dem spanischen Übersetzt, ist eine Sekte die von dem Laienprediger Paul Schäfer angeführt wird und stark abgeschottet von der Außenwelt existiert. Die AktivistInnen gehen davon aus, dass Pinochet dort Gefangene, in den unterirdischen Kellern, Foltern lässt und Daniel dasselbe widerfahren wird. Lena folgt dieser Fährte und verschafft sich einen weiteren Überblick über die Situation durch einen Besuch bei Amnesty International. Der Mitarbeiter der ihr gegenübersteht versichert ihr, dass die Siedlung nichts von dem sei, was sie glaubt. Gleichzeitig macht er ihr mit Handzeichen klar, dass man sie abhört und stellt sicher, dass sie frei sprechen können. Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Colonia Dignidad wird zunehmend deutlicher. Was undeutlich bleibt, für uns ZuschauerInnen, und Lena, ist, dass Paul Schäfers Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad, nicht das erste Modell dieser Art ist welches er entworfen und erfolgreich umgesetzt hat. Er kam 1961 auch nicht alleine, sondern mit – mal mehr und mal weniger – freiwilligen AnhängerInnen, flüchtend aus Deutschland nach Chile und begang damit die wohl größte Massen Entführungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Paul Schäfer oder auch Pius, steht zwar nicht als Vorsitzender auf der Gründungsurkunde, dafür ist er allerdings das Sprachrohr Gottes, für alle innerhalb der Siedlung. Er machte die Regeln, seine Worte sind Gesetz. Was er will ist bedingungslose Hingabe und diese erhält er auch. Das System das er sich aufgebaut hat, sichert ihn von innen nach außen ab und lässt ihm freie Hand in sämtlichen Menschenrechtsverletzungen, die er zu tun pflegt. Alles allerdings kein Problem. Lena lässt sich nur fix mit einem Brief bei ihrem Piloten entschuldigen, sie würde noch eine Woche in Chile bleiben – warum auch nach Hilfe fragen – und so nimmt die fiktive Liebesgeschichte, mit der sich aufopfernden Lena als Hauptprotagonistin, die immer ganz knapp einem schrecklicherem Schicksal entrinnt, vor dem Hintergrund eines wahren, knochenmarkerschütternden Ereignis seinen Lauf.

Direkt nach Lenas Ankunft in der Kolonie beginnen sich die beunruhigenden und rätselhaften Geschehnisse zu häufen. Die alte Frau, mit dem eisernen Blick, nimmt ihr ihren Reisepass und alle anderen Habseligkeiten ab und versichert ihr, dass sie diese von nun an nicht mehr brauchen wird. Kurz darauf tritt ein stumm weinender, blonder Junge aus einer Tür. Er reagiert nicht auf Lenas besorgte Frage nach seinem Wohlbefinden. Die alte Frau befiehlt ihr, ihn in Ruhe zu lassen und das blonde Kind wird von einer Frau abgeholt, die wahrscheinlich nicht seine Mutter ist. „Du bist dran“, wird ihr gesagt und sie fragt: „Womit?“. Diese Frage, lässt einen in Antizipation zittern. Ja, Lena, womit bist du dran? Was ist diesem Jungen in Schäfers Büro widerfahren? Wirst du sein Leiden teilen? Ihre Aufnahme erfolgt prompt, abgesegnet durch Pius selbst. Die alte Frau, dessen Name Gisela ist, führt sie zu ihrer neuen Bleibe, die sie sich mit anderen Frauen teilt und dort lernt sie Doro kennen. Doro wirkt ganz entzückt davon, dass Lena von Draußen kommt. Es ist ein leicht verstörendes Bild was sich einem gibt, dass der Bezug zur Außenwelt ein so geringer ist, dass das Konzept von Draußen jemanden so belustigen könnte. Mit jedem Schritt den Lena weiter in das Leben der Colonia Dignidad, stolpert, kommt sie Daniel zwar näher, doch der Fortschritt gibt sich nur schleppend zu erkennen. Frauen und Männer, sowie Eltern und Kinder, leben radikal von einander getrennt. Diese Geschlechter und Alterstrennung sichert Schäfer den Erhalt seines größten Verbrechens, welches hier allerdings nur angedeutet wird. Die systematische Vergewaltigung der Kinder. Schon in Deutschland wurden etliche Klagen wegen sexuellen Missbrauchs gegen Schäfer erhoben und im Anschluss wieder fallen gelassen. In Colonia Dignidad jedoch steht ihm nichts mehr im Weg.  Die Kinder haben keine Bezugsperson an die sie sich wenden können. Alle in der Siedlung werden mit Medikamenten still gestellt. Die Arbeit ist hart und es wird 7 Tage die Woche, für bis zu 16 Stunden gearbeitet. Oft ohne einen einzigen Tropfen Wasser. Die junge Frau aber, schreckt vor nichts zurück um Daniel auf sich Aufmerksam zu machen selbst als ihr klar wird, dass irgendetwas anders ist. In Colonia Dignidad denken alle, das Daniel, nun Hans, eine geistige Beeinträchtigung hat, als Folge der Elektroschock Folter nach seiner Ankunft. In diesem Wissen lebt auch Lena, bis sie die Chance auf einen Gegenbeweis bekommt.

Die wahre Geschichte steht im Schatten einer ausgedachten, romantisierten Heldentat einer Frau die das Ausmaß der Situation unterschätzt und eines White Saviors welcher sich für geistig behindert ausgibt – ah, und sich in der Englischen Fassung mit einem Schimpfwort selbstbezeichnet – um so aus einer Sekte zu entfliehen die in all den Jahren ihres Bestehens nur 5 erfolgreiche Fluchtversuche vorzuweisen hat. Unter anderem deswegen, weil Paul Schäfer sich auf die Verschwiegenheit und Kooperation der deutschen Botschaft in Chile verlassen konnte und auf Pinochets Deckung von Seiten der Regierung aus, weil die unterirdischen Keller tatsächlich Folterlager waren und sie mit Waffen und Giftgas handelten. Nicht nur fehlt die Nähe zur tatsächlichen grausamen Realität und die Zentrierung des größten und motivationsfördernden, sexual Verbrechen an den Kindern, um welches sich die restliche Struktur von Colonia Dignidad aufbaute, sondern auch die Möglichkeit wahrhaftig mit den SchauspielerInnen mitzufiebern. Es schien fast, als würde die Zeit in Colonia Dignidad, trotz aller traumatischer Erlebnisse keine psychologischen Spuren hinterlassen zu haben und dabei wurde es doch so schön foreshadowing betrieben, mit Pius Worten: „Foltern kann jeder, aber jemanden zu brechen ohne ihn äußerlich zu verletzen, das ist eine Kunst“. Eine verpasste Chance, in vielerlei Hinsichten. Je mehr man über Colonia Dignidad liest, ganz gleich wo, desto eindeutiger wird einem, dass Schäfers Verbrechen viele Schichten haben. Wenn man sich Interviews von ehemaligen Bewohnern der Siedlung durchliest, läuft es einem Eiskalt den Rücken runter. Allein, dass Colonia Dignidad heutzutage kein verlassenes Stück Land ist, sondern unter dem Namen Villa Bavaria als TouristInnen Attraktion weiter existiert, ist gruseliger als der Film basierend auf den wahren Vebrechen. Hier wurde nur an der Oberfläche gekratzt und ein kleiner Einblick gegeben, der mir keine Sekunde genug Herzklopfen verursachte um mitzufiebern.