2017 / Staffel 1 (9 Folgen, 41 – 55 Minuten pro Folge) / Vereinigte Staaten
Regie: J. M Cravioto
Autorin: Annika Schöning
„Hier ist der König.“
(Posado, Daniel, J. M Cravioto, 2017, Staffel 1, Folge 6, 41:25)
El Chapo – Drogenbosse, Polizisten und Politiker
Die Serie „El Chapo“ verarbeitet die Tiefen des lateinamerikanischen Drogenhandels auf eine actionreiche Weise, die gleichzeitig die Verbindung von Staat und Kriminalität zum Vorschein bringt. Das Guadalajara-Kartell beschäftigt den engagierten Mann Joaquin Guzman. Dieser will sich unter allen Umständen zum Patron hocharbeiten. Er ist unter dem Namen El Chapo bekannt. Der Reihe nach nimmt er einige unmögliche Jobs an, beziehungsweise er diskutiert bis ihm die Aufgabe anvertraut wird und widersetzt sich gegen die Regeln seiner Vorgesetzten. Als sein eigener Patron Miguel Ángel inhaftiert wird, werden seine geschäftlichen Gebiete unter den anderen Bossen der Drogenlandschaft aufgeteilt. Chapo erhält seine Chance. Er wird in den Stand des Patrons erhoben und bekommt einige ländliche Anteile, auf denen er den Drogenhandel leiten darf. An dieser Stelle der Handlung wird deutlich welche Dimension die kriminelle Ader Lateinamerikas einnimmt. Nicht die berüchtigten Männer der Kartelle haben das Sagen, sondern die Politiker und das Militär. General Blanco und sein neu eingestellter Kollege Conrado Sol leiten die Bekanntmachung und treten für die Patrons als oberste Instanz auf. Besonders Amado Carrillo Fuentes arbeitete mit ihnen zusammen. Der frisch ernannte Patron Chapo verschwendet jedoch wenige Gedanken an die Grenzen, die ihm gesetzt werden. Und so versucht er sich auf eine erfolgreiche und dreiste Art und Weise seinen Weg an die Spitze der Macht zu erkämpfen.
Im großen Ganzen stellt die Serie nach und nach den Aufstieg des gefährlichen Joaquin Guzman dar. Im Vordergrund wie er einen Kartellkrieg herausfordert und letztlich für sein kriminelles Dasein seine Zeit im Gefängnis fristen muss. Die Parteien, die Kartelle, die Polizei, und die Politik statuieren ein Exempel für den Gewinn des Brutalsten und Skrupellosesten, getrieben durch Macht und unterstützt durch Drogen und Waffen. Das traurige Bild des systematischen Zusammenschlusses wirkt zum Nachteil aller Unbeteiligten sowie Unschuldigen und beweist, dass Sicherheit und Schutz ein brüchiges Konstrukt sind. Jeder wird für Dienstleistungen bezahlt, egal ob Freund oder nicht. Außerdem muss sich jeder an Regeln halten. Doch Guzman wagt es die sicheren Reihen zu erzürnen und so das Gleichgewicht zu zerrütten.
Schnell wird deutlich, dass seine Motive für sein Handeln in seiner Beziehung zu seinem frisch verstorbenen Vater liegen. Sie hatten ein furchtbares und gewalttätiges Verhältnis zueinander. Er kritisierte Chapo unausweichlich. Die Anerkennung, welche sich der junge Joaquim wünscht, bekommt er nur vom Kartell, sodass er sich diesem schnell verpflichtet und der Familie entzieht. Geld spielt hier eher weniger eine Rolle. Der Kampf um Macht soll ihm die Rache an seinem Vater bescheren, denn er schwor ihm der größte Drogenboss zu werden den es jemals gab. So stellt er die Familie immer hinten an die Arbeit an. Auch zur Beerdigung seines Vaters taucht er nicht auf. Sein egozentrischer Charakter formt sich aus der Beziehung zu seinem Vater und seiner Arbeit. Die restliche Familie ist augenscheinlich nicht Grund genug, um einen moralischen und legalen Lebensstil einzuschlagen.
Seine Geschichte vom Aufstieg wird in einer geschlossenen Serie mit einer horizontalen Storyline wiedergegeben. In jeder Folge muss El Chapo sich einer neuen Herausforderung und mehreren Komplikationen stellen, die mit einem Wendepunkt durch das jeweilige Ende der vorlaufenden Folge eingeleitet wurde. Schließlich wird das große Hauptthema der gesamten Staffel durch mehrere kleinere Episodenthemen ausgeschmückt. Die Spannung wird so ungemein gehoben und animiert zum Weiterverfolgen der Handlung. Es entsteht ein roter Faden. Dieser verknüpft sich mit einem kleinerem Handlungsstrang, welcher sich mit den politischen Einflüssen auf das Drogengeschäft befasst und sich ungefähr zur Mitte der Staffel mit dem Werdegang El Chapos kreuzt.
Die kommerzielle Serie verarbeitet ihren Inhalt in interessanten Schnitten und Szenenbildern. Zwar mischen sich auch viele unsichtbare Schnitte unter, doch harte Schnitte wirken besonders prägnant und werden sinnvoll eingesetzt. Unter anderem enden die zahlreichen Prügeleien, und Schießereien mit einem erschlagenen schwarzen Bild. Eine besondere Brutalität wird somit ausgestrahlt, sowie das Ende – ein Schlussstrich der Auseinandersetzung. In gewiefter Art wird dieses Stilmittel genutzt, um einen Ortswechsel einzuleiten. Darüber hinaus werden lokale Wechsel über tonal überlappende Einstellungen der Szenen, oder über den Schwung über eine Landkarte anschaulich gemacht. In Einleitung zu manchen neuen Kulissen wird eine kurze Einstellung vorabgespielt, welche das neue Ambiente in unbelebtem Zustand darstellt. Ganz prägnant wird die mehrfache Einstellung eines Autos, welches in einem roten Blumenfeld steht. Das Bild bewegt sich schnell und stellt eine Zeitraffung dar. Der Kontext zur Einstellung wird erst in der letzten Folge der Staffel aufgelöst, sodass stetig eine Neugier bei dem Zuschauer geweckt bleibt.
Eine aufregende Kameraführung unterstützt die visuelle Wirkung der Episoden. Es gibt rotierende Bilder z.B. während Unterhaltungen, Rückblenden, die mit Blitzeffekten eingeleitet werden – wie Gedankenblitze, und schnelle Bildwechsel während Dialogen zwischen den Gesprächsteilhabenden.
Gepaart wird die visuelle Ebene mit einer Tonalität, die für lateinamerikanische Filme und Serien üblich ist. Das Intro der Serie besteht aus einem spanischen Frauengesang, der einen sinnlichen und spannenden Unterton vermittelt. Im Hintergrund der Szenen läuft meist Gitarrenmusik. Ab und zu wird diese durch Trommeln unterstützt. Ansonsten weist die Musikalität der Serie keine interessanten Auffälligkeiten auf.
Die Kulissen und Drehorte der Serie befinden sich alle innerhalb Lateinamerikas, mit Ausnahme einer einzigen Szene in dem sich die Opposition El Chapos während des Kartellkrieges in Los Angeles zurückzieht. Auffällig ist ebenso wie weitläufig das Gebiet der Handlung ist. Nicht nur Mexiko sondern auch Orte wie El Salvador sind mit eingebunden. Hinzukommen Drehorte wie Drogenlabore und Verpackungsstationen, Flughäfen, politische Ämter und große Villen der Drogenbarone geschmückt mit Palmen und Luxus. Alles um die Kartellleitung und ihre Heime herum wirkt schillernd und beinahe schon hollywoodreif. Vieles erstrahlt in hellem weiß oder anderen angenehmen frischen Farben. Der Rest Lateinamerikas hingegen bekräftigt die klischeehafte Erscheinung der Länder. Die Häuser der normalen Bürgerschaft bestehen aus dickem Stein und Lehmwänden. Es gibt viele Sandstraßen und Felder, auf denen die Menschen im Grünen arbeiten. Die Spanne zwischen arm und reich ist beachtlich. Alles ist in warmen Tönen gehalten und passt zu den karibischen Wetterverhältnissen.
Die symbolische Unterstützung durch Requisiten verstärkt selbstverständlich die authentische Darstellung des Geschehens. Neben etlichen Waffen, welche zuhauf zum Einsatz kommen, spielen außerdem einige Drogen und viel Geld eine große Rolle. Das Geld verbindet unter anderem die Loyalität und die Arbeit miteinander. Egal ob Freund oder nicht, für jede Dienstleistung wird bezahlt. Keiner bleibt irgendjemandem etwas schuldig, und keiner tut irgendjemandem aus Nächstenliebe einen Gefallen. Eine unterschwellige Unsicherheit schwingt in jeder Beziehung der Serie mit. Darüber hinaus bekommt El Güero der Verbündete El Chapos den abgeschnittenen Kopf seiner Frau zugesandt. Das Abtrennen des Kopfes symbolisiert die Trennung von Regeln. Da unmittelbar darauf der Kartellkrieg zwischen beiden Parteien ausbricht, kann diese Trennung der Regeln auch die Freisetzung des Friedens bekräftigen. Das prägnanteste Requisit jedoch, stellt das bereits vorhin thematisierte weiße luxuriöse Auto dar. Nachdem es mehrmals als Einstellung zwischen den Szenen gezeigt wurde, kommt es in der neunten Folge zum Einsatz. Der junge El Chapo lernt den Besitzer kennen und bietet an es für ihn zu pflegen. Also beginnt er den Wagen ausgiebig zu putzen. Mit dem Putzendes luxuriösen Wagens versinnbildlicht sich auch der Weg seiner harten Arbeit. Der Luxus steht in dieser Konstellation für den Reichtum, welchen er anstrebt. Er himmelt das Auto an. Als er den Wagen schließlich von innen auswischen möchte, entscheidet er sich kurzerhand dazu das Auto zu stehlen. Durch das Stehlen besiegelt er seine Entscheidung den unrechtlichen Weg zu gehen. Von hier an gibt es kein zurück mehr. Es könnte so gedeutet werden, dass das Fortfahren für das Entrinnen seiner Vergangenheit steht, und sein zufahren in die Freiheit. Wenn auch auf illegalen Wegen.
Marco de la O in der Rolle des El Chapo verkörpert den berüchtigten Drogenboss nicht nur äußerlich besonders passend, sondern auch charakteristisch. Er gibt genau dieses egozentrische, etwas arrogante und sture Bild ab, dass sich hervorragend in die Handlung einfügt. Selten ist er aufgeregt und behält immer die Fassung. Er strahlt Autorität aus und weiß sich durchzusetzen. Besonders gelungen personifiziert Marco de la O den El Chapo in seiner persönlichen Entwicklung. Es wird deutlich, wie er sich von Episode zu Episode mehr in die Rolle des erfolgreichen und unschlagbaren Gegenspielers hineinversetzt. Letztlich landet Joaquim Guzman trotzdem im Gefängnis. Insgesamt liefert Marco de la O eine sehr authentische schauspielerische Leistung.
Die weiterführende Darstellung anderer Figuren der Handlung ist ebenso passend wie auch klischeehaft. Die Männer tragen Chinohosen, weitere lockere Hemden, teilweise auch mit Mustern, Stiefel, Sonnenbrillen und Goldkettchen. Das vertraute Bild lateinamerikanischer Krimineller wurde sich zu eigen gemacht. Je nach Anlass werden Anzüge getragen, um die Ernsthaftigkeit zu untermauern. Ein wichtiges und typisches Zeichen für das Lateinamerikanische Ebenbild der Drogenkultur setzen die Schnurbärte. Es gibt kaum eine männliche Person des Kartells, die keinen Schnurbart trägt. In der gesamten Handlung treten die lateinamerikanischen Frauen leider kaum als großartige Hauptpersonen auf. Erst zum Ende der ersten Staffel lässt sich ein Ausblick auf die nächste Staffel erahnen in der besonders die Vizeleiterin des Gefängnisses „die Akademikerin“ vermutlich einen größeren Anteil am Geschehen einnehmen wird. Ansonsten sind die weiblichen Personen eher Mittel zum Zweck. Sie glänzen eher mit der klischeehaften sexy Ausstrahlung einer lateinamerikanischen Frau in engen Kleidern, mit roten Lippen, sowie temperamentvoller und sinnlicher Ausstrahlung. Anteile an der Handlung nehmen sie, wenn es um sexuelle Szenen geht oder die Kinder gehütet werden müssen. Ab und zu sind sie Opfer von Gewalt oder werden an der Nase herumgeführt. So nimmt eine Frau nach Ermutigung durch den Helfer des General Blanco – Conrado Sol – ihren Mut zusammen und versucht einen Beitrag über ihre Vergewaltigung durch einen Politiker nachträglich an die Öffentlichkeit zu bringen. Allerdings hatte Sol sich dies nur zu Nutzen gemacht, um die Stellung des Generals Blanco zu ergattern. Schließlich wird sie durch den General erschossen, um den Artikel zu verhindern wird sie dem Tod zum Opfer. Zusätzlich treten die Frauen auf, um die emotionale Komponente in gewissen Situationen beim Zuschauer zu bewirken, wenn die Männer als die furchtlosen Drogenbosse agieren sollen, wie sich das kommerzielle Auge solche vorstellt. Die Frauen werden zickig und weinerlich, sodass die taffe Front der reaktionslosen Patrons aufrecht erhalten bleibt.
Schlussendlich versucht die Serie aber das unfaire politische System Lateinamerikas in das Licht der Kritiker stellen. Denn das Gespann aus Politik, Polizei und Kriminellen stellt ein in der Gesamtheit kriminelles Gerüst dar. Nicht nur Drogenhändler wie El Chapo oder Pablo Escobar sind die Übeltäter. Aus der Serie geht klar hervor, dass die Politik mit Hilfe der DEA sehr wohl über die Möglichkeit verfügt die Drogenkartelle zu boykottieren. Wenn der politischen Front eine Abmachung zu brenzlig wird, nehmen sie jene Störenfriede fest und sperren sie weg. Solange das Geschäft mit den Patrons aber Gewinn abwerfen kann, werden weiterhin Intrigen gesponnen. Die Gesetzlosigkeit ist allgegenwärtig. Auch der Präsident wird unter Absprachen gewählt. Sowie Waffen des Staates an die Drogenhändler geschmuggelt werden. Das Geld der Mächtigen kauft sich die Freiheit. Es herrscht eine extreme Instabilität der Rechtswege. Somit appelliert die Serie gleichzeitig auch an die Instabilität der Lateinamerikanischen Regierungen.
Alles in allem ist es für den kommerziellen Zuschauer eine sehenswerte Serie mit ausreichend Spannung und Action. Dem Inhalt ist gut zu folgen und erzeugt den Wunsch nach mehr. Besonders die letzte Folge der Staffel ist gut gelungen, denn anders als sonst erreicht die Serie im Staffelfinale nicht ihren Höhepunkt dadurch, dass es ein Aufatmen für den Protagonisten und die Zuschauer gibt, da sich ein Ausweg für ein harmonisches Ende der Handlung entwickelt. Vielmehr erleidet El Chapo einen Rückschlag im Finale, um im Sinne des dritten Aktes der Lösung unerwartet aufgehalten zu werden. Sein Lösungsansatz schlägt fehl, aber der Zuschauer bekommt einen hoffnungsvollen Ausblick in welche Richtung sich die Handlung in der zweiten Staffel wenden kann. Diese Wendung empfand ich als besonders interessant. Zu bemängeln wäre allerdings, dass die gesamte Handlung mehr durch den Einfluss von starken weiblichen Charakteren unterstützt werden könnte. So würde das gesamte Bild der Serie eine tiefere Dimension erlangen und auch den heutigen Standards der Gleichberechtigung eher gerecht werden. Dadurch, dass die Sendung sowieso auf eher kommerzieller als reeller Basis produziert wurde, besteht in meinen Augen nicht die Gefahr die Authentizität der zeitlich gesellschaftlich herrschenden Konventionen zu stören. Außerdem kann man nur hoffen, dass die Hintergründe für das Handeln und die Vorgehensweise El Chapos mehr aufgebrochen werden. Die knappe Thematisierung der Rache an seinem Vater verleiht der Serie doch einen sehr dürftigen Grund, um sich in die Situation und Haut des Patrons zu versetzen. Der Zuschauer besitzt kaum die Möglichkeit sich mit seiner Gefühlswelt auseinanderzusetzen. Die Bezeichnung als Dramaserie empfinde ich nicht als gänzlich passend, da es eher um Schießereien, Prügeleien und Aktion geht als um Dramatik und Emotionalität.
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