Biopics sind heutzutage beliebter denn je, gerade die Musik-Biographien boomen. Um nur einige der Größten der letzten Jahre zu nennnen: Rocketman (2019), Bohemian Rhapsody (2018), Hamilton (2020) oder The Dirt (2019). Fast jeder Film dieses Genres ist mit dem Disclaimer versehen: Based on a True Story. Es geht also um Wahrheit, um die wahrheitsgemäße Darstellung der Realität. Und diesen Anspruch erhebt ein Biopic. Natürlich muss so ein Film fiktionale Elemente einbauen und dramaturgische Kompromisse eingehen. Das weiß doch jeder, könnte man meinen. Aber ist das so? Und trägt nicht schon jedes fiktionale Element zu einer Verzerrung einer vermeintlichen Wahrheit bei? Zählen nicht gerade solche Filme zu den bedeutendsten Einflussnehmern auf die Wahrnehmung der öffentlichen Erinnerung? (vgl. Custen 1992) Diese Fragen führen uns zu einer elementaren philosophischen Frage: Was ist Wahrheit?

In der Philosophie beschäftigten sich poststrukturalistische, feministische und konstruktivistische Ansätze ab den 1970er Jahren verstärkt mit der Idee, dass wir vom Wahrheitsbegriff wegkommen müssen. Denn: Die Wahrnehmung der Welt lässt sich nicht auf eine allgemeingültige Objektivität abstrahieren. Sie ist immer subjektiv und spezifisch. Das was wir als absolute, objektive Wahrheiten und Ideen begreifen, sind demnach lediglich subjektive Darstellungen der Welt. Daraus ist aber nicht zu schlussfolgern, dass die Realität (als Antagonistin zur Wahrheit) nicht der Analyse bedürftig und würdig ist. Sie ist einfach nicht objektiv greifbar und in der Darstellung mit Vorsicht zu genießen. In anderen Worten, wenn das Genre des Biopics den Anspruch erhebt eine true story zu erzählen, sollte kritisch hingeschaut werden.

Der Film Blow (2001) von Ted Demme ist so ein Biopic, welches uns eine spezifische Darstellung der Realität liefert. Er handelt vom Drogenhändler George Jung der in den 70er und 80er Jahren zu den Größten der internationalen Drogenhandelszene gehörte. Er kaufte direkt vom sagenumwobenen Pablo Escobar und trug maßgeblich zum Aufstieg des Kokainkonsums in der breiten Masse der amerikanischen Gesellschaft bei. Dass diese Droge nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Films beim Tod des Regisseurs in seinem Blut gefunden wurde, ist vielleicht die tragische Ironie der Geschichte.

Das Geschehen im Film lässt sich in vier Teile gliedern, sowohl inhaltlich und zeitlich als auch geografisch. Diese vier Teile sind zeitlich begrenzte Ausschnitte an jeweils bestimmten Orten, mit einer bedeutenden Szene aus Jungs Leben. Natürlich ist solch eine Gliederung gut gewählt, denn sie gibt dem Film eine Struktur, die es möglich macht eine so lange Geschichte, von den 1950er bis in die 1990er, zu erzählen, doch sie lässt auch viel aus, damit der Film seine „natürliche“ Spielfilmlänge bekommt. Hier wären wir wieder beim Anfangsproblem der Wahrheit und der Frage nach der true story.

Durch den großen zeitlichen Raum und den ausgewählten Stationen aus Jungs Leben bleibt im Film wenig Zeit für entschleunigte Momente des Durchatmens und des Innehaltens. Immer geht die Geschichte weiter. Ein neues Jahr. Ein neuer Ort. Neue Geschäftspartner. Noch mehr Drogen, noch mehr Geld. Daraus ergibt sich eine wunderbare Metapher zu Jungs Handelsprodukt: dem Kokain. Genauer gesagt, zum Rausch, der aus dem Konsum folgt. Denn ebenso läuft sein Leben ab. Ein unaufhörlicher Rausch aus Geld, Macht, und Besitz. Euphorie und Glücksgefühle die Teil eines Rauschzustand sind, lassen sich ebenfalls in dieser Metapher wiederfinden und auf sein Leben übertragen. Er sagt in seiner Zeit in Kalifornien, dass er glücklich ist und das Leben lebt, was er immer leben wollte. Allerdings übernimmt ihn eine Sucht dieses neuen Glücks und mit fortschreitendem Film beginnt der Zerfall dieses Lebens, vergleichbar mit dem körperlichen Zerfall eines drogenabhängigen Menschen. Der spannende Punkt dieser Metapher und der Dramaturgie aber ist, dass der Film in bestimmten Momenten „nüchtern“ wird. Das sind die Momente, in denen Jung seine Eltern trifft. In diesen Szenen entschleunigt der Film auf drastische Art und ist für kurze Zeit stark dialoglastig. Vor allem die intimen Gespräche mit seinem Vater stellen Jungs Leben auf existenzielle Weise in Frage, in denen der Vater immer nach der Prämisse mit seinem Sohn spricht: „Ist es dir das alles Wert?“ Ermöglicht wird all dies allein durch die Innigkeit einer menschlichen Beziehung mit ihrer tiefen Emotionalität und langen Historizität. Zwar findet diese Reflexion zunächst keinen Anklang beim Hauptcharakter, doch tun diese Entschleunigungen dem rasanten Film sehr gut.

Nichtsdestotrotz erzählt der Film bis auf diese Momente eine ziemlich austauschbare Geschichte eines aufsteigenden Drogenhändlers, der zwar etwas ungewöhnlich wirkt und durch seine innere Ruhe, Gewaltlosigkeit und monogamen Lebensweise aus dem Raster von stereotypischen Drogenhändler*innen herausfällt, letztendlich aber tendenziell uninteressant, langweilig und gefühllos wirkt. Ein Lichtblick stellt dann lediglich der letzte Teil des Films dar. Dort setzt nun endlich auch die eigene Reflexion ein, hervorgerufen durch Jungs Niedergang und eine weitere menschliche Beziehung: Die von Jung und seiner Tochter. Durch sie entwickelt er überhaupt erst eine empathische Art. Damit findet auch die wichtige Charakterentwicklung statt, vom narzisstischen, hin zum empathischen Menschen, die dem Charakter auch seine fehlende emotionale Tiefe verleiht. Offensichtlich ist dies ein fiktionales Element der Heldenreise. Und damit möchte ich wieder am Anfang anschließen: Eine true story kann hier nicht erzählt werden, denn ein Biopic unterliegt unweigerlich narrativen Filmstrukturen. George Jung im Film und George Jung in der Realität sind zwei verschiedene Charaktere. Es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass George Jung in der Realität ein komplexerer Charakter als seine Darstellung im Film ist, die eine Entwicklung vom Narzissten zum empathischen Menschen in absoluter Weise ohne Schattierungen und Grauzonen zeichnet. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal wiederholen. Mit dieser Kritik möchte ich gewiss nicht dafür plädieren nie wieder Biopics zu drehen, sondern es geht mir um eine nominelle Kritik am Wahrheitsbegriff und einen geschärften Blick auf dieses Genre, weil es so einen großen Einfluss auf die öffentliche Erinnerung hat.

Problematisch wird es vor allem dann, wenn die Handlung in Lateinamerika stattfindet. Denn das Bild, was von den Ländern Lateinamerikas und ihren Menschen im Film gezeichnet wird, ist ein zutiefst ethnozentrisches, behaftetet mit rassistischen Vorurteilen. Als Jung und seine Crew erstmals nach Mexiko kommen, um ihr Geschäft zu vergrößern, wechselt die Lichtfarbe ins Grelle, Warme und Mariachi-Musik beginnt zu erklingen. Die Leute sprechen kein Englisch, wirken ärmlich, aber in gewisser Weise wird das Leben dort auch als paradiesisch, unbeschwert und als Sehnsucht dargestellt. Später im Film werden lateinamerikanische Männer (!) nur noch in gewaltsamen bzw. Drogenhandel-betreffenden Zusammenhängen und in der kriminellen Form einer Bande gezeigt. Dass am Ende Jungs kolumbianischer Partner, Diego Delgado, der hinterlistige Verräter der beiden ist, verwundert folglich wenig. Dies sind sowohl auf kinematographischer, als auch auf filmdramaturgischer Ebene, typische Darstellungen Lateinamerikas im amerikanischen Kino. Sie erinnern an das, was Edward Said (2009[1978]) „Orientalismus“ nannte, also den Diskurs der im Okzident über den Orient geführt wird, mit seinem unterdrückerischen, exotisierenden und konstruierenden Charakter. Diese charakteristischen Darstellungen finden wir ebenfalls in Blow in einem „Lateinamerikanismus“ wieder.

Auch das Frauenbild im Film ist wenig emanzipativ. Zwar befinden wir uns in der Handlung zum Teil in den 1970er Jahren an Orten feministischer Emanzipation, jedoch finden wir im Film keine emanzipierten Frauen wieder. Sie werden als „dumme blonde Stewardessen“ oder als „geldgierige Ehefrauen“ dargestellt. Zudem ist zu jeder Stelle im Film die Frau nur im Bezug zu Männern zu sehen. Sie agiert niemals autonom, sondern dient dramaturgisch immer nur dem Zweck eine Männergeschichte zu erzählen. Dadurch erscheint sie als abhängiges Wesen und hier lässt sich an Simone de Beauvoir (1949) „Das andere Geschlecht“ anschließen. Der Mann ist das Subjekt, die Frau das Objekt. Der Mann ist das Eine, die Frau das Andere. Der Mann ist der Hauptcharakter, die Frau eine dramaturgische Zweckfunktion.

Blow ist ein durchschnittlicher Film. Durchschnittlich in seiner Qualität und seinen Darstellungen. Es gibt Lichtblicke, wie z.B. die Erzählstruktur oder auch die Ästhetik, denn die Filmemacher*innen schaffen durch tolle Kostüme, detaillierte Sets und eine körnig-staubige 80er Jahre Retro-Kamera einen unverwechselbaren Look. Doch das sollte nicht davor täuschen, dass hier viel wichtigere Aspekte, die Darstellungen Lateinamerikas und von Frauen problematisch sind und nicht zu einer wünschenswerten Verbesserung der Situation beitragen, weil gerade das Biopic doch so stark die Wahrnehmung der Welt beeinflusst. Abschließend bleiben mir folgende Fragen hängen: Wo sind die Hollywood-Filme in denen ein Amerikaner der Bösewicht und eine Lateinamerikanerin die Heldin ist? Wo sind die Filme über die Student*innen-Aufstände in Mexiko 1968? Oder die über ausgebeutete Bananenarbeiter*innen in Guatemala? Was spricht gegen plebejische, periphere Unterhaltungsformen, wenn nicht ausschließlich hegemoniale Diskurse der Unterdrückung in der Metropole.

Literatur:

  • Custen, George F.: Bio/pics: How Hollywood Constructed Public History, New Brunswick 1992.

  • De Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht, Paris 1949.

  • Said, Edward: Orientalismus, Frankfurt am Main, 2009 (New York, 1978).