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„Wenn ich nicht muss, mach‘ ich das auch nicht“ – Gedanken zur Impfmüdigkeit

Seit wenigen Tagen besitze ich offiziell den vollständigen Impfschutz. Als Studentin habe ich monatelang auf meine Impftermine gewartet, habe zugesehen, wie sich eine Gruppe Priorisierter nach der nächsten impfen ließ und gehofft, dass auch ich bald an der Reihe sein würde. Kaum hatte ich Termine über die Uni Bremen angeboten bekommen, schlug ich zu und freute mich über die zwei kleinen Piekser wie ein Kind über eine Kugel Vanilleeis.

Ich erzähle das, weil ich die momentane Entwicklung in puncto Impfbereitschaft als irritierend empfinde. Das ist eigentlich noch zu milde ausgedrückt, denn um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich sauer darüber. Es wird an dieser Stelle viel um meine persönliche Meinung gehen und mir ist bewusst, dass sicherlich nicht Jede*r diese teilt. Das ist auch vollkommen okay so. Meinungsfreiheit ist ja auch eines der Themen, um die es hier in begrenztem Rahmen gehen soll.

Impfungen sind meines Erachtens nach eine großartige Errungenschaft der Wissenschaft. Wie viele Krankheiten konnten dadurch unter Kontrolle gebracht oder sogar ausgerottet werden. Wie viele Kinder erleben eine gesündere Kindheit dadurch oder überhaupt eine, denkt man nur an die hohe Kindersterblichkeitsrate vor noch ein bis zwei Jahrhunderten. Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die sich mit immer neuen und neu mutierten Erregern auseinandersetzen, um die Menschheit weiterhin vor ihnen so gut sie können zu schützen. Und ich bin froh, dass wir die Möglichkeit haben, diese Angebote flächendeckend und kostenlos wahrzunehmen. Wie viele Menschen würden sich um dieses Privileg nur reißen.

Ich erinnere mich zu gut an die ersten Monate der Pandemie: Nur ein Impfstoff könne eine Überlastung der Krankenhäuser, unzählige schwere Erkrankungen und viele tausende Tode verhindern. Nur durch flächendeckende Impfungen sei eine Rückkehr in den gewohnten Alltag wieder möglich. Was haben wir mit den Forschenden mitgefiebert, wie haben wir auf eine Rettung gehofft. Und nun ist sie da, frei zugänglich und verfügbar. Wie hat man noch zu Beginn geschimpft auf die Priorisierungen: „Warum die zuerst und nicht wir?“ Sätze wie: „Ich hab einen Impftermin“ wurden ähnlich gewertet wie Besuche bei Konzerten berühmter Rockstars.

Doch momentan scheint sich eher die Devise „Was nichts kostet, ist nichts wert“ zum Slogan „Jeder kann mal, keiner muss“ bei vielen eingebürgert zu haben. Die Impfquote sinkt und sinkt, Impfzentren schließen und Impfdosen werden anderweitig verteilt, weil die Anfrage nicht mehr stark genug ist. Und das, obwohl wir noch ein ganzes Stück von der angestrebten Herdenimmunität entfernt sind. Wofür war dann das Ganze, frage ich mich immer wieder. Wieso machen wir auf halbem Wege halt und schauen mal, wie es so läuft? Haben die letzten anderthalb Jahre nicht genügt, um uns das zu zeigen? Reicht nicht die bereits vierte Welle als klare Warnung aus?

Natürlich ist die Entscheidung für oder gegen eine Impfung eine komplett freie und das ist auch gut so. Nur ist es für mich immer unverständlicher, wenn ich mit Menschen rede, die sich willkürlich gegen das Impfen entscheiden, ohne dafür rationale Gründe hervorbringen zu können. Ich muss meine freie Entscheidung nicht begründen können, aber ist es nicht zumindest ein paar weitere Gedanken wert, wenn es sehr sehr viele Gründe gibt, die für eine Impfung sprechen und ich keine finde, die dagegen sein könnten..? Habe ich Angst vor Nebenwirkungen, kann ich mich von fachkundigen Menschen beraten lassen, habe ich Zweifel an der Wirksamkeit, kann ich mir neueste Studien und Statistiken ansehen usw.

Begegne ich jemandem, der mir aus seiner Sicht rational begründen kann, warum er sich nicht impfen lässt, lasse der Person ihre Meinung selbstverständlich. Besteht diese Meinung jedoch nur aus „Wenn ich nicht muss, mach‘ ich das auch nicht“, dann finde ich das etwas knapp gedacht. Vor allem, wenn man mittlerweile nicht mehr nur über die öffentlichen und sozialen Medien aufgerufen, sondern auch ganz persönlich von der Uni per Mail und dem Bürgermeister per Post kontaktiert wird, sich doch bitte nochmal zu überlegen, eine Impfung in Erwägung zu ziehen.

Es geht bei der ganzen Geschichte ja nicht nur um den eigenen Willen und das eigene Wohlbefinden. Es geht doch um unsere ganze Gesellschaft, unsere Familien und Freunde. Es geht um Kinder, die nun in ein weiteres ungewisses Schuljahr starten. Es geht um uns Studierende, die sich nach drei isolierten Semestern nach ihrem Campus und ihren Kommiliton*innen sehnen. Es geht um chronisch kranke Menschen, die sich in der Öffentlichkeit nicht mehr sicher fühlen können. Nur um ein paar zu nennen. Und wenn es um so viele Menschenleben geht, dann ist die Begründung „Wenn ich nicht muss, dann mach ich das auch nicht“ für meine Verhältnisse wirklich etwas karg.

Ich wünsche mir, dass wir alle mehr an die Menschen denken, die von unseren Entscheidungen die nächsten Wochen abhängig sind. Dass diejenigen, die ohne triftigen Grund noch nicht geimpft sind, sich (nochmal) intensiv mit der Thematik auseinandersetzen und bei Fragen oder Zweifeln auch in den Dialog mit anderen Menschen treten. Und ich wünsche mir, dass wir auch diese Krise bewältigen können, um endlich in ein normales Leben zurückkehren zu können.

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