Migration und die Reaktion von Schule

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a) Die Grafik gibt Rückschlüsse auf den Zusammenhang der schulischen Abschlüsse und dem Migrationshintergrund der Schülerinnen. Auf Grundlage der Grafik lässt sich somit zunächst festhalten, dass eine Schülerin mit Migrationshintergrund durchschnittlich einen weniger qualifizierenden Schulabschluss als eine Schülerin ohne Migrationshinweis erzielt. Das Diagramm schlüsselt dabei zwischen „kein Abschuss“, einfacher und erweiterter Berufsbildungsreife, dem MSA und dem Abitur auf und gibt zu allen 5 Abschlüssen jeweils die Wahrscheinlichkeit an, dass eine Schülerin a) ohne Migrationshinweis, b) mit Migrationshinweis ohne Vorkurs oder Vorkurs vor 2014 und c) mit Vorkurs ab 2014 mit diesem Abschluss die Schule verlässt. Es zeigt sich, dass ein höherer Bildungsabschluss vorrangig von Schülerinnen ohne Migrationshinweis erreicht wird, während solche mit Migrationshintergrund nach niedrigeren Abschlüssen die Schullaufbahn beenden. Vorallem bei Schülerinnen mit Vorkurs ab 2014 zeigt sich ein drastisches Bild: die relative Mehrheit von ihnen (36%) verlässt die Schule ohne jeglichen Abschluss.

b) Damit lässt sich sagen, dass das deutsche Schulsystem Schülerinnen mit Migrationshintergrund systematisch benachteiligt, ihnen zumindest nicht die gleichen Chancen wie Schülerinnen ohne Migrationshinweis zuteil werden. Neu Zugewanderte haben es demnach an deutschen Schulen besonders schwer und werden nicht ausreichend gefördert, was zu niedrigeren Berufsqualifikationen nach der Schullaufbahn führt.

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Das deutsche Schulsystem ist nationalstaatlich konzipiert und folglich an die Bedingungen deutscher Schülerinnen angepasst. Es ist altersphasenspezifisch gegliedert und baut darauf, dass die einzelnen Segmente des Bildungssystems nacheinander und lückenlos durchlaufen werden. Schroeder und Seukwa bezeichnen diese Erwartungshaltung als „zeitliche Kontinuität“ (2018: 141). Während diese Anforderung bereits für deutsche Schülerinnen ein Problem darstellen kann (Schroeder, Seukwa 2018: 142-143), ist es eine immense Barriere für Schülerinnen, die familiäre Verpflichtungen in anderen Ländern und damit einen transnationalen Bildungsverlauf haben. Denn in anderen Ländern erworbene Qualifikationen werden in Deutschland möglicherweise nicht anerkannt, wodurch die schulischen Segmente nicht nahtlos ineinander übergreifen (räumliche (Dis)Kontinuität). Schroeder und Seukwa plädieren daher dafür, die einzelnen Segmente des deutschen Bildungssystems auch vor und nach der eigentlich vorgesehenen Zeitspanne im Lebensalter anzubieten, um so den Bildungszugang auch für Schülerinnen mit diskontinuierlichen Bildungsverläufen zu ermöglichen (2018: 146).

Gleichzeitig stellt auch die Unterbringung der neuen Schülerinnen aus anderen Ländern eine Herausforderung dar: während im 20. Jahrhundert eigene Klassen für Schülerinnen mit Migrationshintergrund eingerichtet wurden, um weiterhin ein homogenes Lernen (zumindest homogen bezogen auf die Muttersprache) zu ermöglichen (Krüger-Potratz 2016: 16-17), wird seit einigen Jahren vermehrt auf eine Zusammenführung der Schülerinnen gesetzt. Das stellt die pädagogischen Kräfte und damit auch die Ausbildung selbiger vor neue Herausforderungen: wie kann Unterricht stattfinden, wenn einzelne Schülerinnen nicht fließend deutsch sprechen? Wie stelle ich Zusammenhalt in der Klasse her, wenn die sprachlichen Hürden so hoch sind? Allen voran: wie weit muss ich differenzieren, um ein erfolgreiches Lernen der Schülerinnen zu ermöglichen? Um all das zu gewährleisten, bräuchte man erheblich mehr Lehrkräfte als bisher. In Zeiten des Lehrermangels eine schier unlösbare Aufgabe.

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Der Mathelehrer übeträgt Eigenschaften, die er einer Personengruppe (in diesem Fall: Asiaten) zuordnet, auf Kim, weil er sie aufgrund von Äußerlichkeiten mit dieser Gruppe identifiziert. Das Verhalten zeugt von starkem Schubladendenken und führt zu diskriminiernenden Äußerungen gegenüber der Schülerin. Es ist genau das, was Kulturalisierung ausmacht: Eigenschaften, die einer Kultur zugeordnet werden, werden in gleichem Maße auf Personen übertragen, die man für Angehörige dieser Kultur hält.

Ich erinnere mich nicht an Leherende, die kulturalisierende Aussagen gegenüber Schülerinnen getätigt haben, allerdings an Folgendes: Während einer Aufklärungsstunde durch einen Polizisten hat dieser nach einem Schüler gesucht, der ihm beim Nachstellen einer Situation mit körperlicher Gewalt helfen sollte. Er sah sich in der Klasse um und sein Blick schweifte über die Gesichter, bis er schließlich an einem meiner Mitschüler hängen blieb, der augenscheinlich nicht-deutsche Wurzeln hat. Er holte ihn mit den Worten: „Komm mal her, du siehst aus als hättest du das schonmal erlebt“, zu sich nach vorne.

Quellen:

Krüger-Potratz, M. (2016). Migration als Herausforderung für öff entliche Bildung. In: Dogmuş, A., Karakaşoglu, Y., Mecheril, P. (eds) Pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07296-4_2

Schroeder, Joachim/Seukwa, Louis Henri (2018): Bildungsbiographien: (Dis-)Kontinuitäten im Übergang, in: von Dewitz, Nora/Terhart,
Henrike/Massumi, Mona (Hrsg.): Neuzuwanderung und Bildung, Beltz, Juventa, S. 141-157.


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