Forschungstagebuch

 

Sonntag, 10.12.2023
Ich gehe die Zeilen ein letztes Mal durch bevor ich auf die Absenden Taste drücke und mein Aufruf im Wohnheim-Chat erscheint. Mein Pulsschlag erhöht sich als es soweit ist. Von nun an sind meine Daumen fest gedrückt dafür, dass sich genügend Mitbewohner*innen melden um meine Forschung durch die Teilnahme an einem Interview zu unterstützen.

 

Dienstag, 12.12.2023
Eine vierte Person meldet sich bezüglich meines Aufrufs. Ich atme beruhigt durch. Das ist doch eine solide Menge an Teilnehmer*innen. Zwei Frauen, zwei Männer. Besser hätte es nicht laufen können. Die ersten Termine sind bereits ausgemacht und ich lehne mich entspannt zurück.

 

Freitag, der 15.12.2023
Meine Uhr zeigt kurz vor 16h an und ich spute mich um pünktlich am GW2 Gebäude der Uni Bremen anzukommen. Um 16h soll ich dort meine allererste Interview Partnerin treffen. Ich merke, dass ich langsam aufgeregt werde. In aller Eile gehe ich mit schnellem Blick den Inhalt meiner Tasche noch mal durch um sicher zu gehen, dass ich auch wirklich alles dabei habe. Mein iPad? Check! Mein Handy? Check! Die Tafel Schokolade als Danke und Entschädigung? Check! Um mich ein wenig zu beruhigen, sende ich einer Freundin auf dem Weg zur Uni mit zittrigen Händen eine Sprachnachricht. „Ich liebe es zu sprechen, aber davor bin selbst ich nervös“, lautet meine Aussage. Ich gehe mit schnellem Schritt auf die Uni zu und wir treffen uns in der GW2 Cafeteria. Fragen, wie: Was wird sie erzählen? Sind meine Fragen richtig gestellt? Bin ich gut genug vorbereitet? schießen mir beim Betreten des Gebäudes quer durch den Kopf. Ich versuche ruhig zu atmen als ich die Cafeteria begegne. Ich schaue mich suchend um und fühle mich wie bei einem Blind Date. Nachdem ich die Treppe runter gehe, winkt mir von weitem eine junge Frau zu. Ich gehe schnell zu ihr um keine Aufmerksamkeit zu generieren. Ich setze mich und merke, wie ich ein wenig zittere und meine Stimme unsicher klingt als ich sie begrüße. Im nächsten Moment frage ich sie, ob wir uns an einen ruhigeren Ort begeben könnten. Sie schlägt vor, dass wir uns in einen der Lernräume setzen. Ich nicke. Also packen wir unsere Taschen und begeben uns dorthin. Im Lernraum angekommen merken wir recht schnell, dass wir nicht alleine sind. Doch für die zwei jungen Männer neben uns scheint es kein Problem zu sein, wenn wir das Interview ein paar Meter von ihnen und den Gesprächen entfernt führen. Für uns auch nicht. Ganz im Gegenteil: für mich ist es eine kleine Erleichterung, weil ich das Gefühl habe Gesellschaft um mich herum zu haben und nicht komplett in diese isolierte eins zu eins Situation zu kommen. Wir setzen uns, ich führe Chahd in mein Projekt und die Thematik ein und reiche ihr dann die Einverständniserklärung rüber. Fotos von sich möchte sie nicht machen lassen um sie für den Blog zu verwenden, was mir im ersten Moment als ein kleines Problem erscheint, doch ich kann sie nicht dazu zwingen, also beschließe ich mich nach dem Interview mit dieser Sorge auseinanderzusetzen. Und so beginnen wir.

Das Interview. Ich merke, wie sich meine Aufregung stetig verringert und ich schließlich ganz ruhig und gelassen werde. Chahd geht sehr gezielt und ausführlich auf meine Fragen ein. Das nimmt mir den Druck und ich kann mich treiben lassen.

Das Interview ist beendet. Ich bin erleichtert und danke Chahd mit der Tafel Schokolade für ihre Mitarbeit. Ich bin erfreut über diesen spannenden Austausch und vor allem darüber, dass sich meine anfängliche Unsicherheit und Sorge rasant in Freude und Motivation gewandelt hat.

 

Samstag, der 16.12.2023
Zweites Interview. Erneut die Aufregung, aber im nächsten Moment erinnere ich mich an das beruhigende Gefühl nach dem letzten, sehr geglückten Interview und kann mich runterbringen. Dieses Mal spreche ich auch wieder mit einer jungen Frau und da wir ungefähr gleichen Alters sind und dazu beide noch im ersten Semester fühlt sich der Austausch fast schon wie eine freundschaftliche Interaktion an. Auch sie äußert, dass sie keine Fotos von sich machen lassen möchte. Schade, weil mir nun bewusst wird, dass ich die Portrait Bilder ganz auslassen muss, da bereits zwei Personen nicht zugestimmt haben. Ich plane schnell in meinem Kopf um und überlege mir dann die geplanten Fotos von den Apartments als Hauptbestandteil zu nutzen. Und meine Forschung damit zu untermauern. Dem stimmt Lee zu. Das habe ich auch vorher klarer formuliert und angekündigt. Das nächste Mal müsste ich mir bei solchen kurzfristigen Planänderungen noch mehr Spielraum lassen. Dieses Mal hat es meine Forschung nicht wirklich beeinflusst, da ich auch ohne Portraits weiter arbeiten kann, aber an anderen Stellen im Studium hab ich vielleicht weniger Freiheit und muss auf alles eingestellt sein. Das muss ich mir merken.

 

Sonntag, 21.01.2024
Alle Interviews sind geschafft. Ich bin erstaunt wie offen und ehrlich die vier Interview Partner*innen erzählt haben und wie viel privaten Einblick sie mir ermöglicht haben. Das unterstützt meine Arbeit sehr. Jetzt steht mir noch ein sehr großer Berg an Arbeit bevor, aber ich freue mich auf das Auseinandersetzen mit dem Material und dem gleichzeitigen Erkenntnisgewinn während dieser Zeit. Direkt nach Beenden der Interviews habe ich meine Forschungsfrage noch mal ganz neu umgestalten müssen. Mein Fokus lag ursprünglich auf den unterschiedlichen Kulturen in den zwei Häuser Komplexen, doch da alle Interviewpartner*innen deutschsprachig und deutscher Herkunft sind, konnte ich diesen Fokus nicht beibehalten. Ich entschied mich dafür den Aspekt der Anonymität unter näheren Betracht zu ziehen. Meine tiefgreifendere Fragestellung wäre dann also: „Wie viel Anonymität herrscht im Wohnheim und wie gehen die Bewohner*innen damit um?“ Mit besonderem Fokus auf der Persönlichkeit, dem Grund ins Wohnheim zu ziehen und den Fragen nach Überschneidungen und Unterschieden zwischen uns im Wohnheim lebenden.