Minimalismus in der Fotografie – Über Farbflächen I

Minimalismus in der Fotografie – Über Farbflächen I

Über Farbflächen I

Bildbesprechung 2016

Hendrik Schevren: Das Bild versteh’ ich einfach nicht. Was soll das denn bedeuten?

Martin Knigge: Warum willst Du es denn sofort verstehen? Du hast es doch nur kurz angesehen.

Ja, kurz, das reicht doch, dann hat man alles gesehen. Da seh‘ ich doch nur ein paar Farben, wohl mit Pinselstrichen aufgetragen, das ist alles.

So, Du hast alles gesehen, aber es nicht verstanden, das hast Du doch gesagt. Das ist irgendwie ein Widerspruch, ein Problem zwischen beiden Aussagen. Du bist doch unzufrieden, weil Du wissen möchtest, welche Bedeutung das Bild hat, oder?

Hat es denn überhaupt eine Bedeutung?

Na klar, jede einzelne Farbe, die Ausdehnung der farbigen Flächen, die Gesamtkomposition, das ist kein Schnappschuss, sondern ein konzeptionelles, ein gestaltetes Bild.

Sag‘ das doch einfach, erklär‘ das doch und dann bin ich schlauer.

In solchen Fällen werd‘ ich, entschuldige, immer radikal und sage: Geh‘ doch weiter, bleib doch nicht vor meinem Bild stehen, guck dir was anderes an, wenn du dich damit nicht beschäftigen willst, geh‘ Kaffeetrinken oder so. Ich mach’ meine Bilder nicht für Leute, die sich nicht für sie interessieren.

Reichlich elitäre Haltung hast Du da, finde ich.

Nein, gar nicht, ich will den Leuten eben nicht das Nachdenken abnehmen, das aufmerksame Wahrnehmen, das sich Auseinandersetzen damit, durchaus auch das Spekulieren, falls sie sich mit meinen Bildern tatsächlich befassen wollen.

Hm . . .

Joseph Beuys hat doch ganz richtig gesagt, dass das Interpretieren eigentlich unkünstlerisch ist, zunächst jedenfalls. Man macht sonst gleich durch Zerreden das Bild kaputt. Später vielleicht, wenn man sich eine eigene Meinung gebildet hat, vielleicht auch nur ansatzweise, dann kann eine Interpretation hilfreich sein für das Verständnis eines Kunstwerks. Ich mach‘ meine Sachen ja immer in einem Kontext, oftmals in einem biographischen Kontext, also ich denk‘ mir nicht irgendwas aus, sondern verknüpfe vielleicht Erinnerungen damit oder versuche, ein ästhetisches Problem zu bewältigen oder zu lösen.

Wir haben doch hier das Bild „rot-braun“, vielleicht kannst‘ es daran ‘mal konkreter machen.

Ja, gut, sehr gut Dein Hinweis auf das Foto hier.

Warum hast Du es denn „rot-braun“ betitelt? Man sieht ja weitere Farben wie blau, weiß, gelb.

Die Bildbezeichnung zielt darauf ab, die Farben hervorzuheben, die entweder in der Erinnerung oder im Herstellungsprozess eine besondere Rolle gespielt haben. Ursprünglich wollte ich die Bilder sogar nur nummerieren, aber ich habe nie in Erwägung gezogen, Namen zu vergeben, die einen direkten Hinweis auf den Inhalt geben. Hier also beispielsweise „Landstück bei Bardowick“ oder „Ein Ferienerlebnis“, beide Bezeichnungen könnten darauf verweisen, worum es geht. Das Foto als materielles Subjekt zeigt zunächst doch selbst, welche Bedeutung es hat. Frank Stella brachte es für seine Gemälde ganz simpel auf den Punkt: Was man sieht, ist, was man sieht. Und die Antwort liegt zuerst und auch letztlich beim Betrachter. Er allein entscheidet über die ästhetische oder vielleicht auch emotionale Zuneigung oder Abneigung zum Bild. Der Bildgestalter hat grundsätzlich keinen Einfluss auf seine Entscheidung. Auf den ersten Blick, das gebe ich zu, ist die Ästhetik der Farbfläche widerständig, macht den Betrachter vielleicht ratlos. Das aber kann ein guter Anfang sein.

Nun gut, dann spekuliere ich ‘mal ein bisschen.

Nur zu . . .

Sag‘ doch vorher noch, wie die Farbflächen entstehen, vielleicht hilft mir das etwas beim Spekulieren.

Grob einteilen kann man die Bilder in Gemälde, Collagen und Fotografien . . .

. . . Collagen?

Ja, ein Beispiel ist die Farbfläche „schwarz-weiß“. Das Bild „rot-braun“, über das Du nachher sprechen möchtest, ist ein Gemälde. Den größten Teil machen aber Fotografien aus, als Ausgangsbild, beispielsweise „dunkelgrün“ oder „schwarz-gelb“. Für die Fotografien verwende ich ein ganzes Arsenal von Techniken wie Unterbelichtung, Überbelichtung, Doppel- oder Mehrfachbelichtung, Unschärfe, verschiedenste Filter wie Glasscherben, transparente Plastikscheiben, Gelbfilter, Verdunkelungsfilter und verschiedenste Objektive. Für ein endgültiges Foto brauche ich schon mal acht bis zehn Arbeitsgänge: Ein Ausgangsbild wird per Kamera kopiert, die gedruckte Kopie wird wiederum fotografiert und gedruckt und so weiter, und am Ende sind, hoffentlich wie erwartet, die Konturen weicher oder härter, die Farben diffuser oder klarer. Die letztgültige, finale Fotografie ist entstanden. Eine Farbfläche kann bezüglich ihrer Farben den letzten Schliff aber auch mittels des Druckers bekommen. Ein Bild ist ja erst fertig, wenn es gedruckt vorliegt. Und ein fertiges Bild ist wie eine Reinschrift aus Farbe und Form, so jedenfalls hat es ‘mal ein Künstler gesagt, dessen Namen mir eben nicht einfällt. Insgesamt gehe ich sehr handwerklich vor, was wohl auch mit meinem Herkommen von der analogen Fotografie und den entsprechend verwendeten Techniken zu tun hat.

Ich seh’ da also rot, blau, braun, weiß und gelb, fünf Farben, die kreuz und quer durchs Bild gehen. Das Rot überdeckt blau, weiß und gelb, braun das Blau. Das Weiße ist wohl das Weiß der Leinwand. Man sieht das an den ausgefransten Rändern des Blau. Es dominiert auf jeden Fall der rote Streifen, der aus der Ecke links oben kommt, wobei der rechte Rand ungefähr unten in der Mitte endet. Würde man vom breiten blauen Farbstreifen den roten und den braunen wegnehmen können, dann würde das Blau die größte Fläche einnnehmen. So ist aber sichtlich das Rot die ausgedehnteste Farbe.

Erstaunlich . . .

Die Farben symbolisieren ja üblicherweise, auch in Verbindung mit Blumen, menschliche Eigenschaften oder Körpersäfte wie rot für Blut oder gelb für Urin. Rot steht gemeinhin für Liebe und blau für Treue und Zuverlässigkeit, das Weiß für Reinheit, Keuschheit. Unsicher bin ich bei braun und gelb. Ich deute Dein Bild mal als Seelenzustand eines Menschen. Hast Du vielleicht Deinen eigenen, inneren Zustand abgebildet?

Nein, weder meinen noch den eines anderen.

Aber es würde gut in meinen Interpretationsansatz passen: Das heißblütige Rot, ein feuriger Charakter, unterdrückt sowohl die treue Mentalität und einen unschuldigen Charakter als auch ein gelbes Wesen, das sich nicht aus seiner Ecke traut. Und oben zielt ein wuchtig brauner Keil auf die rote Dominanz. Vielleicht spielen sich alle Gegensätzlichkeiten in einem Menschen ab. Oder es handelt sich um widerstreitende Individuen, jeweils durch eine Farbe dargestellt.

Eine schöne und schlüssige Deutung, doch es handelt sich bei den Farben ganz einfach um die Wiedergabe einer Kindkeitserinnerung an Naturgegebenheiten wie Mohnblumen, Raps, Wald, Weg und Wasser. Wir sollten im Kunstunterricht, ich war elf oder zwölf Jahre alt, irgendein Ferienerlebnis zeichnerisch-malerisch wiedergeben. Viele meiner Mitschüler und Mitschülerinnen malten Urlaubsbilder mit Eltern und Geschwistern am Meer oder im Gebirge. Ich dagegen gab wieder, was ich an einem sonnigen Tag auf einem Spaziergang erlebte. Von einem Jägerhochsitz betrachtete ich die Landschaft, sah die Ilmenau, den blauen Fluß meiner Heimatstadt Lüneburg, ein Feld mit Mohnblumen und eins mit Raps, in der Ferne einen Wald und unter mir einen Sandweg. Da ich aber keine einzelnen Blumen und Pflanzen sah, kaum einzelne Bäume und nur die Flächen des Flusses und des Weges, malte ich sie auch so, eben als farbige Flächen. Das allerdings gefiel meiner Lehrerin gar nicht, und ich musste ein neues, detailreiches Bild in Tusche malen. Danach nahm ich mir vor, nie wieder zu malen. Und auch deswegen kam ich später zur Fotografie.

Das Bild hier ist aber offensichtlich nicht damals entstanden, und die Abbildung beruht doch auf einem gemalten Bild.

Ja, die Fotografie zeigt ein neueres Gemälde, das auf der Erinnerung von damals fußt.

Schöne Geschichte. Allerdings kann einem Betrachter ohne Kenntnis des Kontextes, Dein Lieblingsbegriff, niemals eine Deinem Erlebnis entsprechende Interpretation gelingen.

Richtig, aber das ist auch gar nicht nötig, denn man kann das Bild durchaus voraussetzungslos interpretieren, wie Du doch vorhin selbst gezeigt hast. Die Pluralität der Wahrnehmungen und Sichtweisen läßt die von mir gewollte Offenheit beziehungsweise eine offene Bedeutungsstruktur zu. Jeder soll doch das sehen oder empfinden oder interpretieren, was er will. Dem Bild, allen meinen Farbflächen, fehlt das offensichtlich Narrative, es wird nichts erzählt, es gibt für den Betrachter keine Anknüpfungspunkte in der Realität. Es gibt für ihn vielleicht aber einen Oberflächenreiz, denn das Bild ist “gesprächig”, wie Du doch bei “rot-braun” demonstriert hast. Auch für mich ist das zunächst ein Gang durch unbekanntes Gelände, wenn ich an einer Farbfläche arbeite, nämlich die Frage nach der bildlichen Umsetzung einer Idee. Grundsätzlich ist aber jedes Bild das Abbild irgendeiner Erfahrung.

Wo ist eigentlich das originale Ölbild?

Fast alle gemalten oder von mir gestalteten Vorlagen werden nach der Ablichtung vernichtet. Ich male übrigens nicht mit Öl-, sondern mit Acrylfarben, weil sie unkomplizierter aufzutragen sind, schneller trocknen und sich unkompliziert weiterverarbeiten lassen.

Hast Du Vorbilder?

Ja, sowohl Bilder als visuelle Vorbilder als auch Fotografen, Maler, Bildhauer, die ich aber lieber als Anreger bezeichne.

Auch Bildhauer?

Carl Andre beispielsweise, ein amerikanischer Bildhauer und Pionier der Minimal Art. Seine Skulptur “Cataract” besteht aus flachen Stahlplatten, die, streng geometrisch auf dem Boden ausgelegt, ein einfaches, für mich sehr schönes Bild ergeben. Neulich las ich dazu in der Zeitung einen Satz über “minimalistische Kunst, wo es um Inhaltlosigkeit und Leere, um eine Entspannung des Blicks geht, weg von allem erzählerischen Ballast.” Wenn ich Bilder mache, passiert es fast automatisch, dass ich reduziere, um Formen freizulegen, die schon im Formenkumulus eines Objekts oder einer Abbildung enthalten sind. Es ist manchmal eine Art des Mikroskopierens, ja, Mikroskopieren, der Ausdruck gefällt mir sehr für einige meiner Arbeiten. Und, fällt mir eben ein, dem Maler Maik Wolf kann ich im Gesamtzusammenhang ganz und gar zustimmen, wenn er sagt, dass “nichts deprimierender ist als Bilder, die man nach zwei-, dreimal hinsehen verstanden hat.” Und, noch stärker, sagt er: “Vordergründigkeit ist das Ende von jedem Bild.”

Deine Arbeit heißt ja Farbflächen, also Farbe auf Flächen.

Es geht um Farben, die sich im Bild flächig ausbreiten. Diese Aussage ist ja an sich banal, doch ich berechne beziehungsweise kalkuliere vorher die Ausdehnung einer Farbe, die sich auf wenige Pixel Fläche beschränken oder fast das ganze Bild einnehmen kann. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang das, was Gotthard Graubner grundsätzlich über die Farbe sagte, nämlich dass sie “von jedem literarischen Inhalt befreit [ist], Rosa ist nicht Haut, Grün ist nicht Natur; Grau ist nicht Traurigkeit. Farbe besitzt eigenes Leben, eigene Sensibilität.” Weil Du nach Vorbildern fragtest: Neben Mark Rothko hat mich auch der Maler Graubner mit seinen Farbkörpern angeregt, über die Ausdehnung von Farben nachzudenken und mich in meinem Tun bestärkt, dass Farbe nicht an Gegenstände gebunden sein muß. Er beispielsweise trug diverse Farbschichten auf Leinwand, die über einen Körper aus synthetischer Watte gespannt wurde, deswegen Farbkörper, quadratisch oder rechteckig. Das Thema Farbe in Malerei und Fotografie ist ein weites, kompliziertes Feld: psychologisch, philosophisch, technisch, naturwissenschaftlich.

Die “Bildbesprechung 2016″ mit Hendrik Schevren ist eine Zusammenfassung mehrerer Gespräche. Er möchte nicht, dass ich seinen richtigen Namen nenne.

www.martin-knigge.de

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