Lebenswert

Posted in Die Feder on September 21st, 2011 by

Du bist mitten dort, wo du nie sein wolltest. Inmitten von Ruinen, inmitten einer Stadt, die eigentlich nur als Tod bezeichnet werden kann. Hier zwischen Häuserschluchten, Industrieanlagen, Geröll und Geschwärzten Wänden, alles zerstört durch den tausendfachen Tod, der vom Himmel regnet. Die Straßen sind verstört und doch ist überall nur Tod und Verfall zu sehen. Diese Stadt ist im Niedergang und doch bist du hier. Du bist hier, diese Stadt der Toten zu beanspruchen. Deine Aufgabe ist es diese Ruinen zu erobern und so kämpfst du hier Tag für Tag, Haus für Haus und Stein für Stein für das streben Anderer nach Ruhm und Macht.

Du sitzt inmitten der Reste des dritten Stockwerks eines alten Wohngebäudes und schaust hinunter auf die Reste einer Straßenkreuzung. Unten liegen die Kadaver der letzten Angreifer auf das Gebäude. Sie liegen so da, wie sie umgefallen sind, als wenn sie sich nur kurz einmal schlafen gelegt hätten, aber der über allem liegende Schnee zeigt an, dass sie wohl nie wieder erwachen werden. Hier und dort entdeckst du die ersten wirklichen Gewinner dieses Streites, die Krähen und anderen Aasfresser, die sich an den Gefallenen gütlich tun. Dies ist alles so allgegenwärtig, dass es nichts neues ist, aber jedes mal wieder erschreckend, wenn du es siehst.

Der Himmel ist grau und es sieht so aus, als wenn es bald wieder zu schneien anfangen wird, aber die wahre Angst ist der Tod, der jederzeit vom Himmel regnen kann, nur ein einziges zischen oder pfeifen und er regnet herab. Die Anspannung fällt niemals von dir ab und du weißt gar nicht mehr, wann du das letzte mal richtig geschlafen oder auch nur in Ruhe gegessen hast. Dein Magen knurrt und verrät dir, dass du dich bald mal wieder auf die Suche nach etwas essbarem machen musst, sonst wird dich diese Hölle auf Erden schneller Verschlingen, als dir lieb sein kann. Die Kälte ist durchdringend, du wagst es aber nicht ein Feuer an zu machen, den in den zerstörten Gebäuden vor dir lauern Menschen darauf, dass du nachlässig wirst.

Du nimmst dein Gewehr fest in die Hand und lässt deinen Blick weiter schweifen. Irgendwo hier muss dein nächstes Ziel sein, du wagst kaum zu atmen oder ein anderes Geräusch zu machen, den überall könnte der Tod in seinen abertausend Facetten auf dich warten. Du schnallst deinen Gürtel ein wenig enger, damit dein Magen nicht noch dein Verhängnis wird und blickst weiter in die graue Stadtlandschaft mit ihren tausenden Verstecken. Da macht sich völlig unerwartet in dir zum ersten mal ein völlig fremder Gedanke in deinem Kopf breit, was in dieser toten Stadt macht das Leben eigentlich noch lebenswert?

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So ein paar düstere Gedanken haben mal wieder den Weg in meinen Rechner gefunden.

Routine

Posted in Die Feder on September 20th, 2011 by

Es ist Mittwoch, also kein schlechter Tag. Es sind nur noch wenige Tage bis zum Wochenende, nicht so wenige wie Donnerstags oder sogar Freitags, aber weniger als Dienstags oder Montags und das ist doch schon mal etwas. Du sitzt wie immer an demselben Schreibtisch vor demselben Computer und machst dieselben Arbeitsschritte wie jeden Tag der Woche. Gleich ist endlich Frühstückspause und das bedeutet, dass du dann noch bis zur Mittagspause durchhalten musst und der Tag wäre schon wieder fast um. Das wäre für dich wieder ein Schritt auf das Wochenende zu. Nach der Frühstückspause kannst du dann noch die zweite Kaffeepause einlegen und dich mit den Kollegen kurz austauschen, wieder eine willkommene Abwechselung zur Routine der Arbeit. So kann man den ganzen Arbeitstag in feste Abschnitte teilen und dadurch viel leichter den Fortschritt des Tages nachvollziehen.

Nach der Frühstückspause hast du es ganz gut bis zur zweiten Kaffeepause geschafft und bist gerade wieder auf dem Weg zu deinem Schreibtisch, als dir was merkwürdiges auffällt. Der Bildschirm deines Computers ist aus! Das ist sehr merkwürdig, weil du ihn eigentlich bis zum Feierabend nie ausmachst und auch sonst zeigt er dir nur die verschnörkelten Bilder die das Betriebssystem als Bildschirmschoner integriert hat. Wieso also ist der Bildschirm gerade heute aus?

Du schaltest den Bildschirm wieder ein und siehst die normale Oberfläche deines Betriebssystems. Ein wenig erleichtert setzt du dich auf deinen Stuhl und lässt die plötzliche, unnatürliche Anspannung von dir abfallen. Da plötzlich erscheint mitten auf deinem Bildschirm ein Gesicht und flüstert: „Ich weiß was du begehrst und ich kann dir helfen!“ Du bist so erschrocken, dass du hochschreckst und als du doch umsiehst entdeckst du, dass deine Kollegen dich erstaunt mustern. Schnell schaust du wieder auf dem Bildschirm, schließlich willst du nicht den Eindruck erwecken komisch, faul oder beides auf einmal zu sein. Das Gesicht lächelt dich auf eine Art und Weise an, die gleichzeitig begehren und schrecken in dir auslöst. Die verführerische Stimme halt in deinem Kopf wieder und intensiviert sich, bis du schließlich leise flüsterst, „was will ich den?“ Das Gesicht lächelt dich an und sagt nur die Worte: „Du willst einen Ausweg und ich kann ihn dir zeigen!“ Du spürst Begehren in dir aufkommen, du merkst sofort, dass dich dieses merkwürdige Gesicht in deinen Träumen verfolgen wird, aber du bist dir sicher, es spricht die Wahrheit. Das Verlangen nach Freiheit wird dir in diesem Moment wirklich bewusst, völlige Freiheit alles zu tun, was dir in den Sinn kommt und du musst dich wirklich zusammen nehmen, um nicht deinen Wunsch lauthals hinaus zu schreien. Es vergehen unendliche Sekunden, bis du leise flüstern kannst: „Ja zeig ihn mir!“

Plötzlich erlebst du etwas erhebendes, du spürst eine Freiheit in deinem Inneren, die du nie für möglich gehalten hast. Alles ist möglich, nichts ist das, was dich in irgendeiner Art hemmen würde. Nur so kann sich wirkliche Freiheit anfühlen, grenzenlos und ewig. Du lässt alle Fesseln hinter dir und sogar dein fleischlicher Körper hindert dich nicht mehr. Du siehst wie du die Hülle, die dich so lange begleitet hat unter dir liegen und fühlst wie du an einen Ort gezogen wirst, der nichts gutes für dich bereit hält und das letzte was du siehst ist dein zusammengesunkener Körper und die erschrockenen Rufe deiner Kollegen.

Einen winzigen Augenblick völliger Freiheit gegen ein Leben voller Routine. Ist es das Wert?

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Diese Kurzgeschichte hat mich länger beschäftigt und ich hoffe, dass sie zumindest einigermaßen geworden ist.

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