Die Bildung von morgen

1. Was bedeutet der Slogan: „Nicht über uns ohne uns!“ hinsichtlich der gleichberechtigten Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung? Erörtern Sie dies anhand eines Beispiels und beziehen sich dabei auf die UN-BRK.

– Der Slogan war Anfang der 1980er Jahre aus der internationalen politischen Behindertenbewegung entstanden, welche Mitbestimmung statt Bestimmung forderte (Folie 10). Zur selben Zeit prägte das medizinische Modell den Umgang mit Menschen mit Behinderung. Menschen mit Behinderungen wurden als unfähig wahrgenommen, für sich selbst gute Entscheidungen zu treffen, Entmündigung folgte. Bis heute sind solche Ansätze Gang und Gebe: Mein Onkel, der mit dem Trisomie 21 lebt, wird noch heute mit strengen Regeln im Alltag konfrontiert. Es gibt feste Schlafenszeiten, Ausgang ist auch nur mit einer Begleitperson möglich (die darf natürlich keine Behinderung haben). Seine stundenlange Arbeit in einer „Behindertenwerkstatt“ wird mit einem kleinen Taschengeld bezahlt, dass nicht ansatzweise den Mindestlohn deckt. Er arbeitet dafür mindestens 6 Stunden am Tag. Die Kommunikation läuft meistens ÜBER ihn, selten sprechen die Mitarbeitenden (und einige andere Menschen in seinem Umfeld) auf Augenhöhe mit ihm. Eine aktive und informierte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen sie betreffenden Entscheidungen ist eine grundsätzliche Voraussetzung für ihre gleichberechtigte Teilhabe: Dadurch das meinem Onkel an grundlegender Information fehlt, ist es für ihn auch nicht möglich aus dem System heraus zu kommen und an Selbstständigkeit dazu zu gewinnen. Letztendlich ist es schwer zu sagen, wie Selbstständig und So wird ihm der zentrale Grundsatz der UN-Konvention (Folie 10, Beauftragter der Bundesregierung f. d. Belange von Menschen mit Behinderungen/2018) „Nicht über uns ohne uns“ verweigert.

2. Bitte reflektieren Sie die Erfahrungen der beiden Gäste, Amelie Gerdes und Silas Palkowski, vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Erfahrungen: Welche Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren (u.a. räumlich, personell, materiell) sind in der Schule und im Übergang in den Beruf / das Studium bezogen auf die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung förderlich und welche hinderlich?

– Förderlich ist erstmal die Ermöglichung der Teilnahme und die Entstehung der Modelprojekte. Doch mit der geht einher (wie an der HSK Otterberg auch reflektiert, Folie 12), dass personelle und lehrspezifische Strukturen auch aktiv angepasst werden müssen, um eine inklusive Lehre zu ermöglichen. Das System ist nicht für eine inklusive und demnach allen zugängliche Bildung ausgelegt. Institutionen, die sich für Inklusion einsetzen und diese ermöglichen, brauchen Unterstützung im Wandelprozess. Gerade Silas Palkowski ist zusätzlich auf eine räumliche Inklusion angewiesen. Menschen, die auf Rollstuhl/ Gehhilfen oder sonstigen Unterstützungsmitteln angewiesen sind, müssen zuerst räumlich Zutritt haben, um anschließend materielle und soziale Inklusion erfahren zu können. Hier ist also auch ein systemischer Wandel verpflichtend, ohne räumliche Inklusion ist auch eine inklusive Lehre nicht möglich.

3. In der Vorlesung wurde auch die Perspektive der Eltern von Kindern und Jugendlichen mit einer Behinderung angesprochen. Welche Bedeutsamkeit messen Sie der Zusammenarbeit mit Eltern bei und welche Schlussfolgerungen leiten Sie daraus für sich als angehende Lehrkraft ab?

– Eine respektvolle und motivierte Zusammenarbeit mit den Eltern von Kindern mit Behinderung ist wertvoll. Diese haben eine ganz andere Perspektive auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten ihrer Kinder, gestellte Forderungen sind oftmals sehr Kind-fokussiert und weniger Problem-orientiert. Als angehende Lehrkraft ist es mir sehr wichtig, eine inklusive Bildung als Norm zu fordern und Kindern (sowie ihren Eltern) mit Respekt zu begegnen. Dazu gehört es, dass alte System kritisch wahrzunehmen und auch mit mir später im Berufsalltag streng zu sein. Nur so kann ich dem bremischen Schulgesetz (Folie 7, BremSchulG/ 2005) gerecht werden, nur so komme ich meinem persönlichen Ideal von gerechter Bildung und einer gerechten Gesellschaft (Folie 8) näher.

Bremisches Schulgesetz (BremSchulG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2005 (Brem.GBl. 2005, S. 260, 388, 398), zuletzt Inhaltsverzeichnis geändert, § 72a neu gefasst durch Artikel 4 des Gesetzes vom 14. Dezember 2021 (Brem.GBl. S. 913, 917)

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.) (2018). Die UN-Behindertenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. URL: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/DB_Menschenrechtsschutz/CRPD/CRPD_Konvention_und_Fakultativprotokoll.pdf, letzter Abruf am: 29.04.2023.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Die Bildung von morgen“

  1. Avatar von Emily
    Emily

    Hallo Bente,
    ich stimme dir zu, dass auch heute leider noch oft Entmündigung ein Problem ist. Zudem stellt es ein Problem da, dass Menschen mit Behinderung teilweise nicht die Unterstützung durch Hilfeleistungen bekommen, die sie benötigen würden. Der Bruder eines guten Freundes von mir lebt ebenfalls mit Trisomie 21 und ist zudem auch körperlich beeinträchtigt, wodurch ihm eigenständiges laufen erschwert ist. Seine Mutter erzählte mir, dass es ihr zwar möglich sei zum Beispiel Zuschüsse zu bekommen, sowie eine Assistenz im Alltag, allerdings ist den meisten Stellen die Sie aufsuchte nicht der tatsächliche Zeitumfang aufgegangen. Sie erhielten zwar eine Assistenz, allerdings reichte diese nicht mal im geringsten aus, denn seine Mutter ist alleinerziehend und ist viel arbeiten. Der Bruder von meinen Freund musste oft mehrere Stunden ganz alleine Zuhause sein. Auch mein Freund kam häufig zu spät zur Schule, da er noch mit seinem Bruder auf das Taxi warten musste, welches seinen Bruder zu seiner Schule bringen sollte. Dies steht klar im Kontrast zu dem Artikel 28 der UN-Behindertenkonvention (Institut für Menschenrechte, 2018, Artikel 28), in welchem unteranderem ausreichende finanzielle Hilfe und Kurzzeitpflege versichert wird.
    In Bezug auf welche Bedeutsamkeit Ich der Zusammenarbeit mit Eltern von Kinder mit Beeinträchtigung bemesse, kann ich sagen, dass ich als anstrebende Lehrkraft mir später eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern wünsche. So kann ich unvoreingenommen an eine neue Situation herangehen und im Zweifelsfall einmal zu viel nachfragen als etwas für gegeben hinzunehmen. Ich denke nur so kann mir eine faire Inklusion gelingen und nur so kann ich im Rückschluss auch dem bremischen Schulgesetz (BremSchulG/ 2005: 913,917) gerecht werden, so wie du es auch geschrieben hast.
    Literatur:
    Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.) (2018). Die UNBehindertenrechtskonvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. URL:
    https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/datenbanken/datenbank-fuer-menschenrechte-und-behinderung/detail/artikel-28-un-brk
    Bremisches Schulgesetz (BremSchulG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Juni 2005 (Brem.GBl.
    2005, S. 260, 388, 398), zuletzt Inhaltsverzeichnis geändert, § 72a neu gefasst durch Artikel 4 des Gesetzes
    vom 14. Dezember 2021 (Brem.GBl. S. 913, 917)

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