Nach einigem hin und her habe ich mich nun für ein Feld entschieden: Forschung mit Menschen mit Behinderung im öffentlichen Nahverkehr in Bremen.
Der erste Tipp den ich bekommen habe: „Ich kann dich mit einem Studierenden vernetzen der selbst im Rollstuhl sitz und der gern darüber spricht“, hat mich zum Nachdenken gebracht. Wer wird eigentlich gezeigt und an wen denken wir, wenn wir über Menschen mit Behinderung sprechen? Der dünne weiße Mann im Rollstuhl?
Was gibt es eigentlich für andere Behinderungen, die die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erschweren und reden wir eigentlich immer nur über körperliche Behinderungen?
Auch wenn das hier mein erstes Forschungsprjekt in den Kulturwissenschaften ist, möchte ich mir keine Ausreden ausdenken und es mir nicht zu einfach machen. Ich möchte den Menschen das Spotlight geben, die sonst immer nur am Rande des Lichts sitzen. Ich möchte nicht, weil es vermeintlich schwieriger ist mit Menschen mit geistiger Behinderung zu forschen, mich auf die Personengruppen beschränken, die so oder so immer das Mikrofon unter die Nase gehalten bekommen. Damit möchte ich nicht sagen, dass Menschen mit Behiderungen ein großes THema im Gesellschaftlichen Diskurs ist und Menschen mit sichtbaren Gehbehinderungen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt werden sollte, aber es ist mir doch wichtig, dass dieser Diskurs diverser wird. Damit möchte ich anfangen.
Also: Trotz dessen, dass ich mein Feld einschränken muss um dieses relativ kleine Projekt durchzuführen, werde ich das nicht im Vorhhinein tun, nur Meschen fragen, die im Rollstuhl sitzen und dadurch das Narrativ von vorne herein bestimmen. Durch meine politische Arbeit kenne ich eine Frau, die sich in der Partei DIE LINKE für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt. Meine Einschätzung ist, dass sie selbst eine Behinderung hat, in unserem kurzen informellen Gespräch frage ich sie jedoch nicht weiter dazu aus. Sie ist so nett, mir die Telefonnummer zweier Männer zu geben, die ich mal kontaktieren soll.
Ich frage mich: Habe ich ihr nicht klar genug gemacht, dass ich auch mit ihr forschen könnte, oder hat sie mir durch ihr Verhalten, mir die Kontakte zu geben, signaliert, dass sie nicht möchte? Sollte ich sie nocheinmal darauf aufmerksam machen, oder könnte das so wirken, als würde ich sie drängen wollen? Ich weiß ja, dass sie viel um die Ohren hat.
Alternativ der Text:
An wen denkst du, wenn du den Begriff „Menschen mit Behinderung“ hörst? Wahrscheinlich an jemanden, der im Rollstuhl sitzt. Barrierefreie WCs, auch „Behindertenwcs“ genannt, wird mit dem Piktogramm eines Rollstuhls abgebildet, genauso wie die „Behindertenparkplätze“.
Menschen mit Behinderung scheinen kein großer Teil des öffentlichen Diskurses zu sein. Als marginalisierte Gruppe sind sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt und erleben viel Diskriminierung. Diese geht über persönliche Interaktionen und körperliche und psychische Gewalt hinaus und weitet sich auf grundsätzlichste Strukturen wie den ÖPNV aus.
Viele Bahnen und Busse haben in Bremen Rampen, doch auch darauf ist kein Verlass: manche Fahrzeuge haben keine, sie ist defekt oder die bahn fährt gar vor der nase weg, weil sie zu voll und zu spät dran ist.
Dies sind die Assoziationen, welche mir zu Behinderung und ÖPNV selbst einfallen und erzählt werden. Doch was ist mit den unsichtbaren Geschichten? Welche geistigen Behinderungen erschweren das Benutzen von Bus und Bahn und welche körperlichen Behinderungen sehen wir vielleicht gar nicht?
Mich interessiert, was im Verborgenen liegt. Damit will ich den Diskurs und die Aufmerksamkeit von Menschen mit sichtbaren (z.B. Geh-)Behinderungen untergraben oder diffamieren. Mir geht es vielmehr darum, den Menschen eine Möglichkeit zu geben ihre Erfahrungen zu teilen, die sonst evtl. gar nicht mitgedacht werden.
Durch meine politische Arbeit habe ich den Kontakt zu einer Aktivistin, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt. Sie selbst schien nicht mit mir forschen zu wollen, jedenfalls ging sie nicht weiter darauf ein, gab mir jedoch die Nummern von zwei weiteren Aktivisten.
Ich frage mich, ob sie sich von meiner Anfrage angesprochen fühlte und ob ich nochmal auf sie zugehen und ihr das Angebot machen sollte, wobei ich nicht aufdringlich wirken möchte. Sollte sie Interesse haben, aber nicht das Gefühl gehabt haben, sie selbst könne Teil der Forschung sein, sollte ich mich ebenfalls fragen, warum dem so ist. Habe ich mich durch meine Nervösität unverständlich ausgedrückt, oder hatte sie als nicht auf den ersten Blick behinderte Person nicht angesprochen gefühlt. Vielleicht hatte sie auch einfach kein Interesse an der Forschung, zu viel zu tun, oder war in der Situation nicht dazu in der Lage, eine Aussage dazu zu machen.
So eine Forschung zum ersten Mal zu machen und sie gleich richtig machen zu wollen, bedeutet für mich, diese ganzen Fragen zu stellen, denn meine Erfahrung kann mir hier nicht weiterhelfen. Doch ein wenig verunsichert bin ich schon.
Ich freue mich auf jeden Fall auf den Kontakt und frage mich, wohin mich dieses kleine Projekt noch bringen wird.