rv09 – Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Schule


  1. Benennen Sie auf Grundlage des Textes von Debus/Laumann 2018 die verschiedenen Ebenen auf denen a) Geschlechtliche Vielfalt und b) sexuelle und romantische Orientierungen differenziert werden können. Recherchieren Sie als Gegensatz dazu, das Konzept der Heteronormativität und beschreiben Sie kurz, was damit gemeint ist. Arbeiten Sie heraus, inwiefern die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt von Menschen auch im Rahmen Ihres eigenen Berufs als Lehrer*in relevant sein könnte in Bezug auf die Lehrinhalte, die Lehrbücher, die Beziehung zu den Schüler*innen und Kolleg*innen. Nennen Sie dazu mindestens zwei konkrete Beispiele.

Debus und Laumann (2018: 14 ff.) differenzieren geschlechtliche Vielfalt auf den Ebenen von Körper, Identität und Ausdruck. Zwischen diesen Ebenen bestehen eine Vielzahle an Kombinationen, die „gleichberechtig nebeneinander stehen und möglich sein sollten“ (ebd.: 18). Sexuelle und romantische Orientierungen beziehen sich auf Partnerschaft, Bindungen und Begehren. Sie unterscheiden sich abhängig von Geschlechterkombinationen und der „Menge“ des sexuellens und romantischen Begehrens (ebd.: 38). Die Ebenen sind dabei als Spektrum zu sehen.

Im Gegenzug dazu steht das Konzept der Heteronormativität. Es bezeichnet „die gesellschaftliche Form der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, die Institutionen, Wissensfelder, Verwandschaftsverhältnisse, die Trennung von privater und öffentlicher Sphäre sowie Alltagserfahrungen strukturiert und dabei bestimmter heterosexuelle und zweigeschlechtliche Lebensweisen priviligiert“ (Woltersdorff 2019: 324).  Unteranderem wird Heteronormativität als eines der „sechs Gebote der Zweigeschlechtlichkeit“  gesehen(Debus/ Laumann 2018: 18).

Im Rahmen des Berufs Lehrer:in ist es wichtig, ein Bewusstsein für die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt von Menschen zu entwickeln. Offenheit und eine regelmäßige eigene Reflexion sind wichtig, um Schüler:innen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Als Lehrperson kann man auf eine gendergerechte Sprache. Auch auf die Reproduktion von Stereotypen sollte geachtet werden, sodass beispielsweise Jungen nicht immer nur Fußball spielen und sich Anna in Helen verliebt. Hier sollten auch die zur Verfügung stehende Materialien und Lehrbücher im Hinblick auf die gezeigte Vielfalt untersucht und ggf. angepasst werden.

 

  1. Überlegen Sie, wann/wo Sie selbst damit begonnen haben, sich mit einem Geschlecht zu identifizieren und wann/wo Sie Ihr eigenes Begehren entwickelt haben. Nachdem Sie darüber nachgedacht haben, sammeln Sie circa 5 Redewendungen wie beispielweise: „Komm mal her, kleiner Mann“, „Das ist Mädchenspielzeug“ und andere Zuschreibungen und Praxen dieser Art, die die geschlechtliche und sexuelle Subjektivierung von Menschen in unserer Gesellschaft prägen.
  • Wird es ein Mädchen oder ein Junge?
  • Das ist doch (nichts) für Mädchen/ Jungen.
  • Das pinke ist für die Mädchen und das blaue für die Jungs.
  • Bist du ein Mädchen oder was? (z.B. wenn Jungen weinen, …)
  • Du siehst ja aus wie ein Mädchen!
  • Grillen ist Männersache. / Frauen können nicht einparken.
  1. Fallbeispiel in der Schule: Jona weiß schon seit einiger Zeit, dass er ein Junge ist, auch wenn ihm bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. In der Schule haben die meisten Lehrenden Jona akzeptiert und nennen ihn bei seinem neuen Namen und Pronomen. Aber immer wenn es um die Toilettennutzung oder den Sportunterricht geht, kommt es zu Problemen. In der Umkleide beim Umziehen wird er von seinen Cis-männlichen Klassenkameraden ausgelacht. Die Cis-Mädchen wollen Jona in ihrer Umkleide auch nicht haben. Sie behaupten, Jona würde sie beobachten und das sei Ihnen unangenehm. Jona war früher sehr sportbegeistert, inzwischen nimmt er am Sportunterricht nur noch selten teil und meldet sich immer häufiger krank. Überlegen Sie, welche Schritte würden Sie als Lehrer*in gehen, um Jona das alltägliche Leben leichter zu machen? Wie sollte sich das Kollegium aufstellen, welche Gespräche müssten mit der Klasse geführt werden und welche institutionellen Barrieren könnten abgebaut werden? Notieren Sie Ihre Überlegungen.

Zunächst einmal erscheint es mir sinnvoll, mit Jona und den Eltern aufzusuchen, um herauszufinden, was sie wollen und was deren Wünsche sind. Es könnte auch sinnvoll sein, sich durch beispielsweise eine Kooperation Unterstützung von Vereinen, Institutionen u.ä. zu organisieren, die Erfahrung im Umgang mit ähnlichen Situationen haben, um nicht trotzt wohlmeinender Absichten versehentlich diskriminierend zu handeln. Dies könnte beispielsweise geschehen, indem Jonas Situation so sehr herausgehoben wird, dass es zum „Othering“ kommt. Auch eine Zusammenarbeit mit dem Kollegium und der Schulleitung ist sinnvoll, genauso wie Fortbildungen. Innerhalb der Schule und Klasse sollten vermehrt Gespräche und Aufklärungsarbeit stattfinden, um die Schüler:innen auch unabhängig von Jonas Fall zu sensibilisieren. Als kurzfristige „Lösung“, damit Jona wieder am Sportunterricht teilnimmt, könnte es Jona angeboten werden, z.B. die Lehrer:innen Umkleide zu nutzen, was aber keineswegs eine Dauerhafte Lösung darstellen kann. Hier könnten langfristig z.B. genderneutrale Toiletten und Umkleidekabienen eine Möglichkeit sein.

 

 

Quellen:

Debus, K./ Laumann, V (2018). Pädagogik geschlechtlicher, amouröser und sexueller Vielfalt. Zwischen Sensibilisierung und Empowerment. Berlin: Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V.

Woltersdorff, V. (2019). Heteronormativitätskritik: ein Konzept zur kritischen Erforschung der Normalisierung von Geschlecht und Sexualität. In: Kortendiek, B., Riegraf, B., Sabisch, K. (eds) Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, vol 65. Wiesbaden: Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12496-0_33


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