- Welche Berührungspunkte hatten Sie bereits mit dem Thema Antisemitismus? Beschreiben Sie für Sie relevant erscheinende Situationen und stellen Sie Bezüge zu den Inhalten der Vorlesung her.
Eine Situation, in der ich ich mit dem in der Vorlesung als „Israelbezogenen Antisemitismus“ (Suchodolski, Folie 19) in Kontakt kam, ereignete sich während meiner Schulzeit. Obwohl ich zu dieser Zeit keine Kenntnisse über genauere Begriffe des Antisemitismus hatte und den Vorfall an sich damals nicht als Antisemitismus eingestuft hätte, wusste ich trotzdem, dass irgendetwas an der Situation nicht richtig war.
In der 12. Jahrgangsstufe behandelten wir im Geschichtsunterricht ca. ein halbes Jahr das große Themengebiet „Nahost-Konflikt“. Während des gesamten Halbjahrs zog beinhaltete dieser Unterricht neben natürlich Jahreszahlen, Daten und Fakten vor allem die folgende Botschaft, die in jeder Unterrichtsstunde explizit herausgearbeitet wurde: Das jüdische Volk ist der einzige Schuldige, sie sind die Angreifer, die die armen, unschuldigen Palästinenser aus reiner Boshaftigkeit schaden wollen.
Das Problem dabei war jedoch, dass uns Vorfälle, geschichtliche Ereignisse und Konflikte immer genau so dargestellt wurden, dass wir mehr oder weniger selbst zu dem logischen Schluss kommen sollten, dass Israel „der Feind“ ist.
Erst als ich mich außerschulisch mit Menschen über das Thema unterhalten habe und selbst recherchiert habe, wurde mir bewusst, dass ich ein halbes Jahr indoktriniert wurde und mir bewusst eine Meinung als die einzig existierende Wahrheit präsentiert wurde.
Aus der heutigen Sicht würde ich dies ganz klar als offenen Antisemitismus bezeichnen. Auch in der Vorlesung die Problematik unter der Bezeichnung „Zuschreibungen der Verantwortung für Politik Israels“ (Suchodolski, Folie 21) aufgegriffen. Hier wird sich auf Bernstein bezogen, die beschreibt, dass viele Lehrkräfte eigene Vorurteile hinter dem Deckmantel der „israelkritischen Äußerungen“ zu verschleiern versuchen. Dabei seinen sich die Lehrkräfte oft sehr sicher, Kritik klar von Antisemitismus trennen zu können, die Realität beweise aber, dass dies oft in antisemitische Äußerungen abdrifte (Bernstein 2018, S.127 f.).
- Erklären Sie die beiden Kontexte (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und historische Entwicklung), in denen Antisemitismus dargestellt wurde. Welche Relevanz haben diese für das Verständnis von aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus
Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zeichnet sich durch eine Herabsetzung oder Abwertung von kleineren Gruppen. Diese werden als ungleichwertig angesehen und deswegen ausgegrenzt (Groß et al. 2012). Gründe für die Ausgrenzung sind meist negative Stereotype, wobei die Spannweite hier sehr groß ist, denn neben religiös bedingter Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus oder Islamfeindlichkeit, stellen auch Rassismus und Sexismus eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit dar (ebd.). Oft richtet sich dieser Hass nicht nur gegen eine spezifische Gruppe, Menschen mit solchen Denkmustern neigen mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit auch dazu, andere schwache Gruppen zu diskriminieren (ebd.)
In diesem Kontext stellt geäußerter Antisemitismus nur ein Teilproblem dar, es geht hier weniger um tief sitzenden Hass, sondern um die pathologischen Menschen, die ihr eigenes Selbstbewusstsein durch das Diskriminieren und Abgrenzen von Minderheiten oder kleinen Gruppen aufzuwerten versuchen.
Die historische Entwicklung des Antisemitismus zeigt, dass das negative Bild der Juden eine Überlagerung, Umbildung und Anpassung mehrerer Vorurteilsschichten als Ursprung hat (Bergmann 2011, S. 39). Bergmann unterscheidet hier verschiedene Dimensionen, wie die vorchristliche, christliche, ökonomische oder nationalsozialistische Dimension, die jeweils zeitlich aufeinander aufbauen und so die Vorurteile über eine große Zeitspanne hinweg mit immer neuen überlagern (ebd., S. 39 ff.).
Mit diesem Verständnis ist der aktuelle Antisemitismus als „neue Schicht“ zu betrachten, die nie ganz bekämpft werden kann, wenn nicht auch die tiefer liegenden Schichten aufgearbeitet werden und das Problem sozusagen im Kern bekämpft wird.
- Beschäftigen Sie sich mit folgendem Szenario: Ein Elternteil spricht Sie persönlich als Lehrkraft darauf an, dass ein Schüler Ihrer Klasse von verbalen antisemitischen Übergriffen betroffen ist. Überlegen Sie, wie ein konstruktiver Umgang mit dieser Situation aussehen könnte.
Zu allererst sollte bereits im Gespräch mit den Eltern klar signalisiert werden, dass der Vorfall ernst genommen wird und Handlungsbedarf erforderlich ist.
Es sollte außerdem daraus abgeleitet werden, dass das Thema Antisemitismus im Unterricht mehr aufgegriffen werden muss, um eine Verharmlosung der Taten zu verhindern.
Im Gespräch mit der Klasse sollten ebenfalls klare Grenzen gesetzt werden und ein Umgang etabliert werden, der keine Beleidigungen und (verbale) Ausgrenzung zulässt.
Den Schüler*innen sollte absolut vor Augen geführt werden, wie weitreichend Antisemitismus sein kann, um auch verdeckten Antisemitismus in Zukunft verhindern zu können und ein Umdenken in den Köpfen der Schüler*innen voranzutreiben.
Quellen:
Bergmann, W. in: Pelinka, A. (Hrsg.)(2011): Vorurteile. Ursprünge, Formen, Bedeutung. Berlin.
Bernstein, J. (2018): “Mach mal keine Judenaktion!“. Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus. Frankfurt.
Groß, E,; Krause, D.; Zick, A. (2012): Von der Ungleichwertigkeit zur Ungleichheit. Eine Dekade gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Online verfügbar unter:
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/130404/von-der-ungleichwertigkeit-zur-ungleichheit-gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit/ (letzter Aufruf 5.7.23)
Vorlesungsfolien:
Suchodolski, C. (2023): Antisemitismus in der (Hoch)Schulbildung – Erkennen, Verstehen und Handeln, RV 13
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