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Der Maschine wächst kein Bart. Unheimliche Geschlechternormalitäten

von Dr. Birgit Stammberger (Lüneburg, 13. Juni 2013)

 

Dass die Haut des menschlichen Körpers behaart ist, scheint eine Naturtatsache zu sein.

Dabei unterscheidet sich die Körper-­ von der Kopfbehaarung nicht nur hinsichtlich ihres Aufbaues, ihrer Struktur oder ihrer hormonellen Funktionsweise, sondern sie ist Ideal, Maßstab oder Bedrohung von Geschlecht. Weibliche Körperbehaarung ist durch die Regionen bestimmt, die sich von der männlichen Behaarung unterscheiden: Männer haben einen Bart, Frauen keinen, weibliche Brustbehaarung gilt als abnorm, männliche Brustbehaarung hingegen ist Ausdruck von Stärke. Insbesondere der weibliche Körper wird dabei dem Ideal einer glatten, haarlosen Haut unterworfen, das zahlreiche Prozeduren und Praktiken, Produkte und Werbekampagnen nach sich zieht. Es wird rasiert, gewaxt und epiliert.

In populärwissenschaftlichen Diskursen, in der Medizin, in der Kosmetik‐ und Schönheitsindustrie aber auch in ganz alltäglichen Formen des Körperhandelns wird somit der weiblichen Körperbehaarung eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet. So ist weiblicher Bartwuchs nicht nur eine Naturwüchsigkeit oder Ausdruck kultureller Differenzen, sondern er wird als Zeichen von Krankheit oder Unfruchtbarkeit gedeutet und gilt – vor allem in der Medizin ‐   als ein Phänomen, das es zu diagnostizieren und zu behandeln gilt. Das, was weibliche Körperbehaarung bedeutet – medizinisch, kulturell und historisch,  –  ist mit  historischen Praktiken und kulturellen Einstellungen der Fremd-­ und Selbstzuschreibung verbunden. Mit ihr verknüpfen sich somit Geschichten, Praktiken, Formen des Wissens und der Macht, die sich von den Freakshows  des 19. Jahrhunderts,  den  Psychiatrielehrbüchern  des  frühen 20. Jahrhunderts  über  die Schönheits-­ und Kosmetikindustrie bis hin zu subversiven Körperpraktiken erstrecken. Weit davon entfernt, einfach nur eine Naturtatsache zu sein, verweist weibliche Körperbehaarung auf ein komplexes System von Körpertechnologien und Wissenspraktiken, das es erlaubte, sie mal als kurios oder pathologisch, mal als unheimlich, subversiv oder emanzipatorisch zu deuten. Der Vortrag handelt von einer dieser Geschichten.

~ by Oberg on 11. April 2013.

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