Schon an der Reaktion der Lehrerin auf die Aufsätze der Schüler lässt sich erkennen, dass diese ein festgelegtes Bild von ihnen besitzt. Allein aus ihrer Herkunft heraus schließt die Lehrerin auf bestimmte Denkweisen und zeigt damit deutlich wie voreingenommen sie gegenüber ihren ausländisch stämmigen Schülern ist. Genau dies ist das Problem in unserer heutigen Zeit und ist durch die wiederaufkommenden Debatten zur Integration auch sehr deutlich geworden. Viele Menschen hinterfragen andere Personen nicht, sondern schauen sie an und denken sie könnten die Personen allein nach ihrer Herkunft beurteilen. Aber dies ist eben nicht der Fall. Nicht alle muslimischen Mädchen tragen Kopftuch, genau so wie auch nicht alle katholischen Mädchen ein Kreuz tragen.
Gerade als Lehrerin sollte man dazu fähig sein,seinen Schülern gegenüber offen zu sein und diese nicht nach dem äußeren bzw. nach der Herkunft zu beurteilen. Das ist es ja grade worauf die Heterogenität abzielt, Offenheit, Verständigung und vor allem Verständnis untereinander.
Die Lehrerin hat nichts von alledem beachtet. Sie hat die Mädchen in eine feste Schublade ihrer Denkweise gesteckt und war dann hinterher verärgert als die Mädchen eben dieses Bild nicht durch die von ihr gewünschten Aussagen bestätigt haben. Sie zeigte keinerlei Offenheit dafür das die Mädchen vielleicht anders denken könnten, und auch keinerlei Verständnis hierfür.
Hier zeigt sich das die Lehrerin eine vollkommen verkehrte Einstellung dazu hat wie sie sich den ausländischen Schülerinnen und vor allem den türkisch stämmigen gegenüber zu verhalten hat, eben nicht anders als gegenüber den anderen Schülerinnen.
Wären es nun holländisch stämmige, norwegisch stämmige oder schwedisch stämmige Schülerinnen gewesen hätte die Lehrerin ja auch nicht gefragt wie es in „ihren“Ländern abläuft. Dies kann ich aus eigener Erfahrung berichten. In meiner Klasse war damals ein makedonisch stämmiges Mädchen und eine schwedisch-stämmige Schülerin. Die makedonisch-stämmige wurde des öfteren auf ihre Familie angesprochen z.B auch ob sie sich ihren Partner selber aussuchen dürfe.
Die schwedisch-stämmige wurde kein einziges mal zu ihrer Herkunft befragt. Also warum nicht immer so???
Ich stimme dir zu, dass die Lehrerin hier Schubladendenken demonstriert, indem sie voraussetzt, dass alle türkischstämmigen Mädchen über traditionelle (z.T. auch längst überholte) Praktiken im Ursprungsland ihrer Familie Bescheid wissen und sich irgendwie auch selbst davon betroffen fühlen. Allerdings ist auch die Lehrerin nur ein Mensch und Schubladendenken menschlich – auch wenn wir uns das oft nicht eingestehen wollen.
Der weitaus schwerwiegendere Fehler liegt meiner Meinung nach darin, dass die Lehrerin zunächst einmal erwartet, dass die SchülerInnen quasi aus eigenem Antrieb in einer Klausur kulturelle Unterschiede diskutieren, die offensichtlich nicht vorher im Unterricht thematisiert wurden (wobei aus dem Interviewauszug nicht klar ersichtlich ist, inwiefern möglicherweise eine Vorbereitung auf das Thema stattgefunden hat).
Auch, dass die Lehrerin von ihren türkischstämmigen SchülerInnen offenbar eine andere Auseinandersetzung mit dem Thema fordert als von den nicht-türkischstämmigen, ist pädagogisch fragwürdig. Im Unterricht sollten alle Schüler gleichsam an die verschiedenen Aspekte eines Themas herangeführt werden, sodass alle in der Klausur eine vergleichbare Argumentationsbasis haben. In einer solchen Unterrichtssituation könnte dann auf kulturelle Aspekte eingegangen werden – allgemein, und ohne dies anhand bestimmter „lebender Beispiele“ in der Klasse festzumachen (es sei denn, manche Schüler möchten vielleicht freiwillig und unaufgefordert ihre eigenen Erfahrungen beisteuern).
Dass die Lehrerin ärgerlich reagiert, nachdem ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden, ist sicherlich äußerst unsensibel und – nicht nur in diesem Zusammenhang sondern generell – kontraproduktiv. Es ist nachvollziehbar, dass die Schülerin daraufhin entsprechend verletzt reagiert und sich als Opfer kultureller Vorurteile empfindet. Die Lehrerin sollte vielmehr überlegen, welche möglichen Gründe es dafür gibt, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Dadurch hätte sie die Möglichkeit sich selbst und ihre Unterrichtsmethoden zu reflektieren und könnte etwa in Zukunft noch besser im Unterricht vorbereitend auf ein Thema hinführen.
Ich möchte allerdings hervorheben, dass die Lehrerin offenbar durchaus wünscht, dass interkultureller Austausch und interkulturelle Bildung stattfindet. Allein die Umsetzung scheint wenig geglückt zu sein. Unter Umständen ist die Lehrerin auch schon sehr lange in ihrem Beruf tätig und ihr fehlt vielleicht einfach die Vorbildung dafür, wie sich interkulturelle Bildung sinnvoll und vorurteilsfrei in den Unterricht integrieren lässt.
Schließlich 🙂 … finde ich auch deine Beobachtung sehr interessant, dass das Mädchen aus Makedonien in deiner damaligen Klasse oft auf ihre Herkunft angesprochen wurde, das Mädchen aus Schweden jedoch nie. Ich frage mich, ob das an den Erwartungen bezüglich der kulturellen Verschiedenheit bzw. Ähnlichkeit lag? Oder „einfach“ an einem, möglicherweise, anderem nicht nordeuropäischen Aussehen? Meine Vermutung ist nämlich, dass unser aller Empfinden von Andersartigkeit doch stark auf dem äußerlichen Erscheinungsbild beruht und wir auch dazu neigen, eine Bewertung der Andersartigkeit viel mehr sehr oberflächlich nach dem Aussehen (im Gegensatz z.B. zu der jeweiligen Muttersprache) vorzunehmen. Bei allen, die so ähnlich aussehen wie wir selber, gehen wir automatisch davon aus, dass sie einem ähnlichen Kulturkreis angehören, während andere, die irgendwie anders aussehen, in die Schublade „andere Kultur“ gesteckt werden. Diese erste oftmals unbewusste Einschätzung erweist sich dann oft als falsch. Und wenn wir jemanden näher kennenlernen, dann nehmen wir nur ihn/sie als Person war und alles andere tritt in den Hintergrund und ist auch nicht länger fremd.